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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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sollte, Harriet?« Sie hatte ihr den Rücken zugewandt, und ihr Ton war frotzelnd und ein wenig zu herzlich. »Sie ist ’ne alte Lady. Was glaubst du, was sie macht? Denen auf die Füße treten?« Sie gluckste, und obwohl es freundlich klang und zweifellos von Herzen kam, ließ Harriet sich davon nicht beruhigen. »Oder ihnen ihre schwarze Handtasche über den Schädel hauen?«
    »Sie sollte die Polizei informieren.« War es vorstellbar, dass Edie das alles gehört und nicht die Polizei angerufen hatte? »Wer immer dir das angetan hat, gehört ins Gefängnis.«
    »Ins Gefängnis?« Zu Harriets Überraschung brüllte Ida vor Lachen. »Gott segne dich, mein Schatz. Die sind gerne im Gefängnis. ’ne Klimaanlage im Sommer und Erbsen und Maisbrot kostenlos. Und reichlich Zeit, rumzulungern und ihre miesen Freunde zu besuchen.«
    »Die Ratliffs waren das? Bist du sicher?«
    Ida rollte mit den Augen. »Haben in der ganzen Stadt damit angegeben.«
    Harriet war den Tränen nahe. Wie konnten sie frei herumlaufen? »Und sie haben auch die Ziegelsteine geworfen?«
    »Yes, Ma’am. Erwachsene Männer. Und Jungs auch. Und der eine, der sich Prediger nennt, der schmeißt zwar nicht, aber er brüllt und fuchtelt mit seiner Bibel und stachelt die andern an.«
    »Es gibt einen Ratliff-Jungen, der ungefähr in Robins Alter ist.« Harriet beobachtete Ida aufmerksam. »Pemberton hat mir von ihm erzählt.«
    Ida sagte nichts. Sie wrang ihren Wischlappen aus und wandte sich dann dem Abtropfgestell zu, um das saubere Geschirr wegzuräumen.
    »Er müsste jetzt ungefähr zwanzig sein.« Alt genug, dachte Harriet, um einer der Männer gewesen zu sein, die auf der Brücke geschossen hatten.
    Seufzend hob Ida die schwere Gusseisenpfanne aus dem Trockengestell und bückte sich, um sie in den Unterschrank zu schieben. Die Küche war mit Abstand der sauberste Raum im ganzen Haus; Ida hatte hier ein kleines Bollwerk der Ordnung aufgebaut, frei von den verstaubten Zeitungen, die sich überall anderswo im Haus stapelten. Harriets Mutter erlaubte nicht, dass die Zeitungen weggeworfen wurden (diese Regel war so alt und unverletzlich, dass nicht einmal Harriet sie in Frage stellte), aber aufgrund irgendeiner unausgesprochenen Vereinbarung zwischen ihnen kamen sie nicht in die Küche, denn hier war Idas Reich.
    »Er heißt Danny«, sagte Harriet. »Danny Ratliff. Der in Robins Alter ist.«
    Ida warf einen Blick über die Schulter. »Wieso studierst du auf einmal die Ratliffs?«
    »Erinnerst du dich an ihn? Danny Ratliff?«
    »Guter Gott, ja.« Ida zog eine Grimasse, als sie sich auf die Zehenspitzen erhob, um eine Cornflakesschüssel wegzustellen. »Als ob’s gestern gewesen war.«
    Harriet wahrte eine gefasste Miene. »Er war mal hier? Als Robin noch lebte?«
    »Yes, Sir. Ein fieses kleines Großmaul. Konnte ihn einfach nich verjagen. Knallte seinen Baseballschläger an die Veranda und schlich sich im Garten rum, wenn es dunkel war, und einmal hat er Robins Fahrrad geklaut. Ich hab’s deiner armen Mama wieder und wieder gesagt, aber sie hat nichts unternommen. Unterprivilegiert , sagte sie. Unterprivilegiert, von wegen!«
    Sie zog die Schublade auf und fing lautstark und mit viel Geklapper an, die sauberen Löffel einzuräumen. »Niemand kümmert sich einen Deut um das, was ich sage. Ich sag’s deiner Mutter, ich sag ihr immer und immer wieder, dass dieser kleine Ratliff mies ist. Versucht, sich mit Robin zu prügeln. Flucht andauernd, brennt Knallfrösche ab, schmeißt mit allen möglichen Sachen. Eines Tages würde mal jemand verletzt werden. Wer hat denn jeden Tag auf Robin aufgepasst? Wer hat denn immer hier aus’m Fenster geguckt«, sie deutete auf das Fenster über dem Spülbecken, hinaus in den Spätnachmittagshimmel und das voll belaubte Grün des sommerlichen Gartens, »während er gleich hier draußen mit seinen Soldaten spielte oder mit seiner Miezekatze?« Betrübt schüttelte sie den Kopf und schob die Besteckschublade zu. »Dein Bruder, das war ’n braves Kerlchen. Wieselte einem zwischen den Füßen rum wie ’n kleiner Maikäfer, und ab und zu war er auch mal frech zu mir, aber es hat ihm immer Leid getan. Hat nie geschmollt und sich angestellt wie du. Manchmal kam er angerannt und hat mir die Arme um den Hals geworfen: ›Bin so einsam, Ida!‹ Ich hab ihm immer gesagt, er soll nicht mit diesem Gesindel spielen, immer wieder hab ich’s ihm gesagt, aber er war einsam, und eure Mutter hatte nichts dagegen, und da hat er’s

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