Der kleine Freund: Roman (German Edition)
manchmal trotzdem getan.«
»Danny Ratliff hat sich mit Robin geprügelt? Hier im Garten?«
»Yes, Sir. Und geflucht und geklaut.« Ida nahm die Schürze ab und hängte sie an einen Haken. »Ich hab ihn aus’m Garten gejagt, keine zehn Minuten, bevor eure Mama den armen kleinen Robin da draußen an dem Baum gefunden hat.«
»Ich sage dir, die Polizei unternimmt nichts gegen Leute wie ihn«, sagte Harriet, und sie fing wieder von der Kirche an, von Idas Bein und der alten Lady, die bei dem Brand umgekommen war, aber Hely hatte keine Lust mehr, sich das alles anzuhören. Was er aufregend fand, war ein gefährlicher Verbrecher auf freiem Fuß und die Vorstellung, er könnte ein Held werden. Er war zwar dankbar, dass er dem Camp der Kirche entronnen war, aber bisher war der Sommer doch ein bisschen zu ruhig verlaufen. Einen Mörder zu fassen würde sicher mehr Spaß machen, als Bibelszenen zu spielen oder von zu Hause wegzulaufen oder irgendeins der anderen Dinge, die er mit Harriet im Laufe des Sommers gern unternommen hätte.
Sie saßen im Werkzeugschuppen hinter Harriets Haus, in den sie sich seit Kindergartentagen zurückzogen, wenn sie unter vier Augen miteinander reden wollten. Die Luft war stickig, und es roch nach Benzin und Staub. Aufgerollte, dicke schwarze Gummischläuche hingen an Wandhaken, und hinter dem Rasenmäher ragte ein stachliger Wald von Tomatenrankgittern empor wie übertrieben große Gerippe, in Fantasiefiguren verwandelt durch Spinnweben und Schatten und durch die schwertartigen Lichtstrahlen, die sich durch die Löcher im rostigen Blechdach kreuz und quer in das Halbdunkel bohrten, so pelzig vom Staub in der Luft, dass es schien, als werde gelber Puder an den Fingern hängen bleiben, wenn man mit der Hand hindurchstrich. Das Halbdunkel und die Hitze verstärkten die Atmosphäre von Heimlichkeit und Spannung. Chester versteckte Kool-Zigaretten und »Kentucky Tavern«-Whiskey im Schuppen, wobei er die Verstecke von Zeit zu Zeit wechselte. Als Hely und Harriet kleiner waren, hatte es ihnen einen Riesenspaß gemacht, Wasser auf die Zigaretten zu gießen (einmal hatte Hely in einem Anfall von Niedertracht darauf gepinkelt) und die Whiskeyflaschen auszuschütten und mit Tee zu füllen. Chester hatte sie nie verpetzt, weil er die Zigaretten und den Whiskey gar nicht haben durfte.
Harriet hatte Hely schon alles erzählt, was es zu erzählen gab, aber nach ihrem Gespräch mit Ida war sie so aufgeregt, dass sie unablässig zappelte und auf und ab ging und sich wiederholte.
»Sie wusste, dass es Danny Ratcliff war. Sie wusste es. Sie hat selbst gesagt, er war es, und dabei hatte ich noch nicht einmal erzählt, was dein Bruder gesagt hat. Pem sagt, er hat auch mit anderen Sachen angegeben, mit üblen Sachen...«
»Wollen wir ihm nicht Zucker in den Benzintank schütten? Davon geht der Motor total kaputt.«
Sie warf ihm einen angewiderten Blick zu, was ihn ein wenig kränkte; er fand die Idee ausgezeichnet.
»Oder wir schicken einen Brief an die Polizei, ohne zu unterschreiben.«
»Und was soll das bringen?«
»Ich wette, wenn wir es meinem Daddy erzählen, ruft er sie an.«
Harriet schnaubte verächtlich. Helys hohe Meinung von seinem Vater, der Direktor an der High School war, konnte sie nicht teilen.
»Dann lass doch mal deine Superidee hören«, sagte Hely sarkastisch.
Harriet nagte an der Unterlippe. »Ich will ihn umbringen«, sagte sie.
Die Härte und Unnahbarkeit in ihrer Miene ließen sein Herz erbeben. »Kann ich dir helfen?«, fragte er sofort.
»Nein.«
»Du kannst ihn nicht allein umbringen!«
»Warum nicht?«
Er war bestürzt, als er ihren Blick sah, und ihm fiel nicht gleich ein guter Grund ein. »Weil er groß ist«, sagte er schließlich. »Er wird dir in den Arsch treten.«
»Ja, aber ich wette, ich bin schlauer als er.«
»Lass mich dabei helfen. Wie willst du es überhaupt machen?« Er stupste sie mit seinem Turnschuh an. »Hast du ein Gewehr?«
»Mein Dad hat eins.«
»Diese großen alten Schrotflinten? So ’n Ding kannst du ja nicht mal hochheben.«
»Kann ich doch.« »Vielleicht, aber – hör mal, jetzt werde nicht sauer «, sagte er,
als er sah, wie ihre Stirn sich verfinsterte. »Nicht mal ich kann mit so ’nem großen Gewehr schießen, und ich wiege neunzig Pfund. Diese Schrotflinte würde mich umschmeißen und mir vielleicht sogar ein Auge ausschlagen. Wenn man das Auge zu dicht ans Visier hält, schlägt einem der Rückstoß glatt den Augapfel aus der
Weitere Kostenlose Bücher