Der kleine Freund: Roman (German Edition)
Höhle.«
»Woher weißt du das alles?«, fragte Harriet nach einer nachdenklichen Pause.
»Von den Pfadfindern.« In Wirklichkeit hatte er es nicht bei den Pfadfindern gelernt; er hätte nicht genau sagen können, woher er es wusste, aber er war sich ziemlich sicher, dass es stimmte.
»Ich hätte nie aufgehört, zu den Pfadfinderinnen zu gehen, wenn sie uns da solche Sachen beigebracht hätten.«
»Na ja, bei den Pfadfindern lernt man auch ’ne Menge Scheiß. Verkehrssicherheit und solchen Kram.«
»Und wenn wir eine Pistole nehmen?«
»Eine Pistole wäre besser.« Hely schaute cool zur Seite, um sich seine Freude nicht anmerken zu lassen.
»Kannst du damit schießen?«
»O ja.« Hely hatte noch nie im Leben eine Schusswaffe in der Hand gehabt – sein Vater jagte nicht und erlaubte es auch seinen Söhnen nicht –, aber er hatte ein Luftgewehr. Eben wollte er ihr eröffnen, dass seine Mutter eine kleine schwarze Pistole in ihrer Nachttischschublade hatte, als Harriet fragte: »Ist es schwer?«
»Schießen? Für mich nicht, nein«, sagte Hely. »Mach dir keine Sorgen. Ich erschieße ihn für dich.«
»Nein, das will ich selbst tun.«
»Okay, dann bringe ich es dir bei. Ich werde dich coachen. Wir fangen heute an.«
»Wo?«
»Wie meinst du das?«
»Wir können nicht im Garten durch die Gegend ballern.«
»Das stimmt, mein Herz, das könnt ihr nicht«, sagte eine fröhliche Stimme, und ein Schatten ragte unversehens in der Tür des Schuppens auf.
Hely und Harriet starrten zu Tode erschrocken in den weißen Blitz einer Polaroid-Kamera.
»Mutter!« , kreischte Hely, riss sich die Arme vors Gesicht und stolperte rückwärts über einen Benzinkanister.
Klickend und sirrend spuckte die Kamera das Bild aus.
»Seid nicht böse, ihr zwei, es musste sein«, sagte Helys Mutter in einem gedankenverlorenen Ton, der erkennen ließ, dass es ihr völlig schnuppe war, ob die beiden böse waren oder nicht. »Ida Rhew hat mir gesagt, dass ihr wahrscheinlich hier draußen wärt. Peanut«, das war Helys Spitzname, und er hasste es, wenn seine Mutter ihn so nannte, »hast du vergessen, dass dein Daddy heute Geburtstag hat? Ich möchte, dass ihr beiden Jungs zu Hause seid, wenn er vom Golfplatz kommt, damit wir ihn überraschen können.«
»Schleich dich nicht so an mich heran!«
»Ach, komm. Ich hab eben einen neuen Film gekauft, und ihr habt so niedlich ausgesehen. Hoffentlich ist es was geworden...« Sie betrachtete das Foto und blies es mit gespitzten, rosa überhauchten Lippen trocken. Helys Mutter war so alt wie Harriets, aber sie kleidete und gab sich viel jünger. Sie trug blauen Lidschatten und hatte eine sommersprossige Sonnenbräune, weil sie zu Hause im Bikini durch den Garten stolzierte (»wie ein Teenager!«, sagte Edie), und sie hatte eine Frisur, wie sie viele Mädchen auf der High School trugen.
»Hör auf« , winselte Hely. Seine Mutter war ihm peinlich. In der Schule zogen die andern ihn auf, weil ihre Röcke zu kurz waren.
Helys Mutter lachte. »Ich weiß, du magst keine Cremetorte, aber dein Vater hat nun mal heute Geburtstag. Aber soll ich dir was verraten?« Helys Mutter sprach immer in diesem munteren, beleidigenden Babyton mit ihm, als ginge er noch in den Kindergarten. »Beim Bäcker hatten sie Schokoladen törtchen, was sagst du dazu? Jetzt komm. Du musst baden und saubere Sachen anziehen... Harriet, es tut mir Leid, dass ich es dir sagen muss, mein Herzchen, aber Ida Rhew möchte, dass du zum Essen hereinkommst.«
»Kann Harriet nicht bei uns essen?«
»Nicht heute, Peanut«, sagte sie beschwingt und zwinkerte Harriet zu. »Harriet versteht das, nicht wahr, Herzchen?«
Harriet ärgerte sich über ihre vertrauliche Art und starrte sie mit steinerner Miene an. Sie sah keinen Grund, zu Helys Mutter höflicher zu sein, als Hely es selbst war.
»Sie versteht das sicher , nicht wahr, Harriet? Wenn wir das nächste Mal im Garten Hamburger grillen, kann sie kommen. Außerdem hätten wir leider kein Schokoladentörtchen für sie, wenn sie mitkäme.«
»Ein Schokoladentörtchen?«, quiekte Hely. »Du hast nur ein Schokoladentörtchen für mich gekauft?«
»Peanut, sei nicht so gierig.«
»Aber eins ist nicht genug!«
»Ein Törtchen ist mehr als genug für einen ungezogenen Jungen wie dich... Oh, seht mal. Das ist ja zum Piepen.«
Sie beugte sich zu ihnen herunter, um ihnen das Polaroid zu zeigen; es war noch blass, aber man konnte schon etwas erkennen. »Ob es noch besser wird?«,
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