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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Ausbildung zu machen und seine Lage irgendwie zu verbessern.«
    Gedankenverloren fuhr Ida Rhew fort, die Herdplatte zu polieren, obwohl sie längst nicht mehr poliert werden musste. »Yes, Ma’am, das ist die Wahrheit«, sagte sie. »Dieses Pack hat Miss Etta Coffey umgebracht, als hätten sie ihr ein Messer ins Herz gestoßen.« Sie presste die Lippen zusammen und polierte in kleinen, straffen Kreisen die Chromknöpfe am Herd. »Die alte Miss Etta, das war ’ne gerechte Seele. Hat manchmal die ganze Nacht gebetet. Meine Mutter sieht bei Miss Etta spät nachts das Licht brennen, und dann wirft sie meinen Daddy aus’m Bett, damit er rübergeht und ans Fenster klopft und Miss Etta fragt, ob sie vielleicht hingefallen ist und ob er ihr hochhelfen soll. Da brüllt sie Nein , danke , und sie und Jesus hätten noch was zu besprechen!«
    »Einmal hat Edie mir erzählt...«
    »Yes, Sir. Miss Etta, die sitzt jetzt zur Rechten des Herrn. Und meine Mutter und mein Daddy und mein armer Bruder Cuff, der an Krebs gestorben ist. Und auch der kleine Robin, mitten dazwischen. Gott hat Platz für alle Seine Kinder. Wahrhaftig.«
    »Aber Edie sagt, die alte Dame ist nicht im Feuer gestorben. Edie sagt, sie hatte einen Herzinfarkt.«
    »Edie sagt?«
    Wenn Ida in diesem Ton sprach, forderte man sie besser nicht heraus. Harriet betrachtete ihre Fingernägel.
    »Nicht im Feuer gestorben. Ha!« Ida knüllte ihren feuchten Wischlappen zusammen und klatschte ihn auf die Arbeitsplatte. »Sie ist am Rauch gestorben, oder? Und an all dem Geschubse und Geschrei und Gedränge, als die Leute rauswollten? Sie war alt , die Miss Coffey. Und so weichherzig, konnte
nicht mal Rehfleisch essen oder ’n Fisch vom Haken nehmen. Und da kommt dieses grässliche Pack angefahren und schmeißt Feuer durchs Fenster ...«
    »Ist die Kirche denn ganz abgebrannt?«
    »Jedenfalls genug.«
    »Edie sagt...«
    »War Edie dabei?«
    Ihre Stimme klang Furcht erregend. Harriet wagte nicht, noch ein Wort zu sagen. Ida funkelte sie eine ganze Weile an, und dann raffte sie ihren Rocksaum hoch und rollte ihren Strumpf herunter, der dick war und fleischfarben, um etliche Schattierungen heller als Idas tiefdunkle Haut, rollte ihn über das Knie, und über dem undurchsichtigen Nylonwulst erschien ein sechs Zoll breiter Fleck von verbrannter Haut: rosarot wie ein rohes Würstchen, glänzend und eklig glatt an manchen Stellen, an anderen runzlig und narbig, und seine Farbe und Oberfläche standen in schockierendem Kontrast zu dem angenehmen Paranussbraun des Knies.
    »Schätze, Edie findet so ’ne Verbrennung wohl nicht gut genug?«
    Harriet war sprachlos.
    »Ich weiß bloß, dass es sich ordentlich heiß angefühlt hat.«
    »Tut es weh?«
    »Es hat wehgetan, wahrhaftig.«
    »Aber jetzt?«
    »Nein. Aber manchmal juckt’s. Na, komm schon«, sagte sie zu dem Strumpf und fing an, ihn wieder hochzurollen. »Mach keine Schwierigkeiten. Manchmal wollen diese Dinger mich umbringen.«
    »Ist das eine Verbrennung dritten Grades?«
    »Dritten, vierten und fünften.« Ida lachte wieder, aber jetzt klang es ziemlich unangenehm. »Ich weiß bloß, es hat so wehgetan, dass ich sechs Wochen nicht schlafen konnte. Aber vielleicht findet Edie, dass ein Feuer nicht heiß genug ist, wenn es einem nicht beide Beine abbrennt. Und ich schätze, das Gesetz sieht die Sache genauso, denn die, die das getan haben, werden sie nie bestrafen.«
    »Aber das müssen sie.«
    »Wer sagt das?«
    »Das Gesetz. Darum ist es das Gesetz.«
    »Es gibt ’n Gesetz für die Schwachen, und es gibt ’n Gesetz für die Starken.«
    Überzeugter, als sie es in Wirklichkeit war, sagte Harriet: »Nein, gibt es nicht. Dasselbe Gesetz gilt für alle.«
    »Warum laufen diese Kerle dann immer noch frei rum?«
    »Ich finde, du solltest Edie davon erzählen«, sagte Harriet nach einer verlegenen Pause. »Wenn du es nicht tust, tu ich es.«
    »Edie?« Ida Rhews Mund zuckte merkwürdig, beinahe amüsiert. Sie setzte zum Sprechen an, überlegte es sich dann aber anders.
    Was? dachte Harriet, und das Herz gefror ihr. Weiß Edie davon?
    Wie sehr ihr dieser Gedanke einen Schock versetzte, war ihr so deutlich anzusehen, als wäre vor ihrem Gesicht eine Jalousie hochgeschnellt. Idas Miene wurde sanfter. Es stimmt , dachte Harriet: Sie hat es Edie schon erzählt, Edie weiß es .
    Aber Ida Rhew machte sich ganz plötzlich wieder am Herd zu schaffen. »Und wie kommst du auf die Idee, dass ich Miss Edie mit dieser Schweinerei behelligen

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