Der kleine Koenig Dezember
zeigen!«
»So ein langweiliger Weg!«, rief ich. »Jeden Tag derselbe Weg, und dann soll ich ihn auch noch an meinem freien Tag gehen?!«
»Mir ist so fad!«, rief der König. Er trat mit dem Fuß wütend gegen den Toast auf meinem Teller, dass er krümelte. Dann haute er mit dem Zepter kleine Löcher in die Frühstücksbutter. Schließlich stemmte er ächzend Zuckerwürfel hoch und ließ sie einen nach dem anderen in meinen Kaffee fallen.
»Hör auf mit dem Scheiss!«, brüllte ich.
»Ich bin König Dezember der Zweite!«, schrie er. »Und du bist kein König. Du musst alles tun, was ich dir sage.«
»Na gut«, sagte ich. »Den Kaffee kann ich jetzt sowieso nicht mehr trinken, mit soviel Zucker. Aber ins Büro gehen wir nicht rein! Wir kehren vorher wieder um.«
»Habe ich doch schon gesagt!«, rief er fröhlich. Ich zog mir ein Sakko an, nahm den König in die Hand und steckte ihn so in die Tasche für das Einstecktuch, dass er mit Kopf und Krone oben rausgucken konnte. »Und wenn jemand kommt«, sagte ich, »dann tauchst du unter, klar? Ich will nicht, dass dich jemand sieht.«
»Ich pass schon auf«, sagte er und zitterte vor Aufregung.
Also stiegen wir die Treppe hinunter, machten unten das große schwere Tor des Hauses auf und gingen auf die Straße. Es war ein schöner Frühlingstag. Die Isar war voll und schwer von gelbem Schmelzwasser aus den Bergen, und die Sonne schien uns ins Gesicht.
»Hohooooo!«, schrie der kleine König. »Ist das schöööön!«
»Sei doch still!«, zischte ich.
Wir gingen nach links zur Corneliusstraße, und ich erklärte dem König Dezember leise alles, was wir sahen. Wenn wir an einer Schneiderei vorbeikamen, sagte ich, dies sei eine Schneiderei, und beschrieb, was ein Schneider tut. Sahen wir eine Bäckerei, sagte ich, dies sei eine Bäckerei, und erläuterte, wie ein Bäcker arbeitet. Gingen wir an einem Geschäft vorbei, in dem es Lederpeitschen für Männer gab, zeigte ich auf die andere Straßenseite und sagte, das da drüben sei ein Tapetenfachgeschäft, und erklärte, was eine Tapete ist. Ichkannte mich aus hier, und jedesmal sagte der König so etwas wie »Das habe ich auch schon mal gewusst« oder »Ich hatte es ganz vergessen« oder »Ach, wie lange das schon her ist!«
Natürlich begegneten wir auch Menschen. Die meisten von ihnen sah ich jeden Tag auf meinem Weg, kannte sie flüchtig und beachtete sie nicht weiter. Aber der König schaute sie genau an, und wenn ich ihm ängstlich zuflüsterte, er solle gefälligst abtauchen, wie wir es vereinbart hätten, oder ihn sogar so grob, dass seine Krone verrutschte, in die Tasche zurückstopfte, kam er sofort wieder hoch und sagte irgend etwas über die Leute.
Wir sahen zum Beispiel den kleinen, alten Mann, der immer einen Pudel an einer Leine spazierenführt, und der König sagte: »Jetzt will er ihn wieder umbringen.«
»Bitte, wie?«, fragte ich.
»Er versucht wieder, den Pudel umzubringen. Weißt du, der alte Mann ist seit 52 Jahren mit derselben Frau verheiratet. Sie leben in einer kleinen Wohnung, und sein Lieblingsessen ist Knödel mit Soße. Wenn er eine Zigarette will, muss er in der Küche bei offenem Fenster direkt vor dem Aschenbehälter des Ofens rauchen, weil sie es so verlangt. Wenn er den Lottoschein ausfüllt, muss er die Zahlen ankreuzen, die sie sich wünscht; das Datum ihres Hochzeitstages gehört auch dazu. Und wenn er im Bademantel auf dem Sofa liegen möchte, um das Tapetenmuster auswendig zu lernen, kommt ihre Freundin zu Besuch. Am liebsten würde er seine Frau töten. Aber das traut er sich nicht, und außerdem kann er keine Kartoffelknödel machen. Deshalb versucht er jeden Tag aufs neue, den Pudelumzubringen – es ist ihr Pudel. Er hat ihn schon in die Isar geschmissen, aber das Tier kletterte auf einen treibenden Ast, und die Feuerwehr rettete ihn bei Oberföhring. Ein anderes Mal warf er ihn vom Alten Peter hinunter, doch der Pudel bekam plötzlich Flügel und segelte fröhlich bellend zu Boden. Schließlich hat er ihn im Park vor dem Patentamt festgebunden und dort stehenlassen. Aber jemand hatte sich gerade eine Pudelrettungsmaschine patentieren lassen, und damit war es ihm ein leichtes und eine Verpflichtung, das Tier nach Hause zu bringen. Doch der Mann gibt nicht auf, denn sein Hass ist groß, und andere Möglichkeiten hat er nicht.«
Ich starrte verwundert zu meiner Sakkotasche hinunter.
»Woher weißt du das alles?«, fragte ich.
»Ich weiß es ja gar nicht«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher