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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
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nicht mehr als ein Starlet. Er spazierte stumm von einer Frau zur anderen, wie er es so gerne tat, und bewunderte ihre Frisuren, Augen,Wangenknochen, Hälse, Schlüsselbeine und die Wölbung ihrer Brüste, aber auch etwas Unbeschreibliches in ihrem Innern, eine verborgene Seelenverwandtschaft. Er wusste, dass sie ihn bedauerten, ihn verstanden, so wie er sie verstand – so viele von ihnen hatten unglückliche Beziehungen gehabt! Sie schienen zu ihm zu flüstern, seine Augenlider mit den Fingerspitzen zu berühren, ihm zu sagen, dass er in Ordnung war, so wie er war. Die Stimmen in seinem Ohr waren köstlich, und er konnte nicht anders als aussprechen, was sein Herz bewegte.
    »Ihr wisst, meine Schönen, genau wie ich«, sprach er sie alle zugleich an, »was es heißt, Mangel zu leiden, in Sehnsucht zu leben, denn auch in eurem Leben sind nicht immer Milch und Sahne geflossen. Ihr wisst, wie das ist und wo ich heute stehe. Schließlich waren einige von euch in ihren frühen Jahren hässliche Entlein, und euer Leben hat nur in euren Träumen stattgefunden. Und dann eines Tages war euch das Schicksal plötzlich hold, und ihr seid zu den schönsten Schwänen von ganz Indien geworden … Ihr habt diese Welt hinter euch gelassen und seid in eine Sphäre aufgestiegen, wo euch niemand mehr belangen konnte. Wie war das für euch? Hattet ihr nicht das Gefühl, die Erde drehe sich nur noch für euch? Ich weiß es doch! Und wenn ihr bald eine nach der anderen zu mir hochkommt, um in meinem Filmrollenschrank bei mir zu wohnen und durch den Babur lachend in die Welt hinauszuschwirren, dann unterhalten wir uns dort oben auf halbem Weg zwischen Himmel und Erde ausführlicher, und bis dahin kann ich euch auch ein Foto von meiner Braut zeigen. Ja … Ich wäre gern das Licht in jemandes Herzen, so wie ihr es in den Herzen von Tausenden wart – nein seid! Es ist in Ordnung, wenn sie nicht hübsch ist, das würde sie nur auf dummeGedanken bringen! Hauptsache, sie ist nicht zu groß – aber auch nicht zu klein – und hat lange Haare – und wenn ich einen Wunsch äußern dürfte: eine hübsche Nase! Und ich werde von diesem Tag an ein besserer Mensch sein: Ich werde mit dem Trinken aufhören und mich um die Alten und Kranken und die vom Glück Verlassenen kümmern, ich werde mein Geld nicht mehr verschleudern, nicht mehr schimpfen und fluchen und mein Temperament zügeln. Ich werde nur mit der einen Hand nehmen und die andere fürs Geben reservieren. So wie ich jetzt bin, bin ich nämlich in Wirklichkeit gar nicht – so bin ich nur geworden! Nutanji, du siehst aus, als ginge es dir heute nicht so gut. Ich verlasse euch jetzt – ich werde mal rasch einen Blick nach oben werfen, und dann gehe ich runter. Ach, und ärgert euch nicht: Bald werden sich noch zwei Mädchen zu euch gesellen.«
    Mit diesen Worten trottete er los, drehte, am Ende des Korridors angelangt, einen Türknopf und betrat den Treppenschacht, der zu der dritten, der schönsten Ebene des Noor hinaufführte.
    Die Dunkelheit hatte hier keine Chance – Arzee tauchte unmittelbar in das wunderbare helle Licht ein, das durch eine Reihe von Fenstern entlang einer hohen, schmalen Treppe hereinfiel. Über ihm glitzerten Spinnennetze. Und das Reich am Ende der Treppe pulsierte von einem goldenen Schimmer und einem tuckernden, stampfenden Geräusch, das an eine Lokomotive erinnerte. Es war
Film
, der durch den Babur schoss. Eigentlich hieß der große deutsche Projektor Bauer, doch für indische Zungen war das ein zu fremder Klang, so dass im Laufe der Jahrzehnte der Name des legendären Mogulherrschers daraus geworden war.
    Phiroz aß gerade zu Mittag, der Duft seines pürierten
brinjal 2
drang bis hier herunter. Ganz nach oben wollte Arzee noch nicht gehen – im Moment lag sein »nach oben« noch unten, und er würde erst ganz hinaufgehen, wenn er gekrönt war. Er fischte ein Stückchen gelbe Kreide aus dem Haufen Ramsch, der seit Jahren am Fuß der Treppe lag – Sperrholzleisten, umschnürte Ordner, Zelluloidstreifen –, und malte eine freundlich lächelnde Sonne an die Tür. Er signierte sie schwungvoll und zog sich wieder ins gähnende Dunkel zurück, nun nahezu unsichtbar. Er liebte es, so im Noor herumzustreifen und -zustöbern.
    Als er – wie eine Figur in einem Krimi – ins Foyer hinunterspähte, sah er, dass Tawde in Richtung von Abjanis Büro schaute. Das Quietschen der Schwingtür drang ihm ans Ohr, es war also gerade jemand hindurchgegangen. Abjani war wieder

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