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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
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gepresst, hinaus.
    Eine schrille, durch die uralte Lautsprecheranlage verzerrte,anschwellende Musik breitete sich im Kino aus, und Männer kamen nach ihrem dreistündigen Ausstieg aus dem Leben – oder waren sie ins Leben eingestiegen? – mit glasigem Blick aus dem Zuschauerraum. Auch die kleine Gestalt in ihrer Mitte war aus dem Leben ausgestiegen, befand sich innerlich im freien Fall. Arzee blieb einen Moment im Foyer stehen, schien zur Statue erstarrt wie die Nymphen über ihm auf ihren Sockeln. Dann drehte er sich mechanisch um, ging die Treppe hinauf, wobei er sich am Geländer festklammerte wie ein Blinder. Und verschwand von der Bildfläche.
    Nach einiger Zeit – er wusste nicht, wie lange – kam Arzee plötzlich zu sich. Erschrocken stellte er fest, dass er im Dunkeln am Rande eines gähnenden Abgrunds saß, als hätte es ihn ans Ende des Universums verschlagen.
    »Wo bin ich?«, dachte er und beugte sich vor. »Auf dem Balkon! Wie bin ich denn hierhergelangt? Wache ich oder träume ich? … Das ist … das ist doch ein Witz, bestimmt ist das ein Witz!« Er stand auf, um wieder hinunterzugehen. »Die … die treiben ihren Scherz mit mir! Ich bekomme nie, was mir zusteht, ohne dass man es mir erst einmal vorenthält. Denen gefällt es, mich erst mal auf die Palme zu bringen – zu sehen, wie ich mich ärgere –, und dann lachen sie und geben mir, was mir gebührt. Auch jetzt lachen die sich doch ins Fäustchen da unten, alle, sogar der alte Phiroz, weil sie mich so beunruhigt und aus der Fassung gebracht haben. Was ist denn das für ein Geräusch? Sitzen sie etwa hinter mir? Mal schauen. Nein! Tun sie nicht. Ich bin allein. Was ist das nur für ein komischer Spaß?«
    Er setzte sich wieder, und das Herz wurde ihm schwer, als er sich in Erinnerung rief, dass Abjani nie Schabernack trieb und auch niemals so mit seinen Gefühlen spielen würde. Anderevielleicht schon, aber nicht Abjani. Stimmte es also? Im Geiste hörte er wieder Abjanis leise, beschämte Stimme: Das Noor sollte geschlossen werden! Es war, als gäbe der Boden unter ihm nach, und er umklammerte die Armlehnen seines Sitzes ganz fest und versuchte im Dunkeln nachzudenken.
    »Kann das sein?«, fragte er sich. »Kann das wirklich sein? Das Gebäude leergeräumt? Die Säle dichtgemacht – mein Raum verschlossen und verriegelt? Können sie mir einfach so eines Montagmorgens aus heiterem Himmel mein Königreich verwehren und mit ihrer Anteilnahme meine Zustimmung erkaufen, nach jahrelangem treuem Dienst? Und was ist mit Mutter? Was soll ich ihr erzählen?« Zorn wallte in ihm auf. »Das ist eine Verschwörung gegen mich. Ich spüre es in den Knochen! Die wollten nicht, dass ich das erlebe, dass ich aufsteige und glücklich bin, und deshalb haben sie diesen Ausverkauf begangen und mich erniedrigt, mich zerstört! Ich höre eine Stimme, die sagt, dass ich die Dinge verdrehe, mich ohne Anlass zum Mittelpunkt dieser Geschichte mache. Aber habe ich denn unrecht? Ich sage das doch nicht grundlos. Spekuliere doch nicht wild herum. Wie also erklärt sich das alles dann? Der alte Phiroz beschließt, im Noor aufzuhören, und eine Woche später –
eine Woche später
– geht das Kino ein. Sagt es mir! Antwortet! Ist Phiroz denn der einzige Filmvorführer in Bombay? Ist er der Geschäftsführer? Ist er der Babur? Er ist nur eine Speiche im Rad – eine alte, zerbrochene Speiche! Ob er bleibt oder geht, sollte außer mir niemanden im Geringsten interessieren. Warum also? Wie kann es sein, dass er aufhört und das Noor dann unmittelbar folgt?« Er stand auf. »Erklärt es mir, ihr Schufte! Ich geh jetzt mit meinen Fragen nach unten. Ich –« Er blieb stehen.
    Oder konnte es sein, dass …?
    Ja, es konnte sein!
    PHIROZ ! Der Alte hatte also doch noch seine Sinne beisammen. Die Folge war der Ursache zuvorgekommen – es war keineswegs so, wie er es vermutet hatte, sondern genau umgekehrt! Phiroz’ große wettergegerbte Ohren, die jedes Getuschel auffingen, hatten die Nachricht irgendwo erhascht, und daraufhin hatte er seine Kündigung eingereicht – er hatte gesprochen, bevor man zu ihm sprechen konnte. Das tat sich Phiroz nicht an, die Schmach, aus dem Dienst entlassen zu werden, so wie es Arzee gerade geschehen war. Phiroz hatte sich selbst die Pistole an den Kopf gesetzt und war im Triumph gegangen – alt und tatterig, aber ungeschlagen. Es würde keine weiteren leitenden Filmvorführer im Noor geben – wenn Phiroz zusammenpackte, nahm er sein Amt und

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