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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
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seine Arbeit mit. Und er hatte niemandem davon erzählt – er hatte die Neuigkeit für sich behalten, der gerissene alte Parse, unter dem Deckmäntelchen der Senilität und Geistesabwesenheit.
    PHIROZ! Der Alte hätte ihn doch wenigstens warnen können! Zählten denn all die Jahre ihrer gemeinsamen Arbeit gar nichts? Na gut, an vielen Tagen hatten sie kaum ein Wort gewechselt, und wenn, dann nur über den immergleichen drögen Alltagskram. Zwar wusste Phiroz von Mutter und Mobin und war Mutter auch schon das eine oder andere Mal begegnet, und Arzee wiederum wusste, dass Phiroz’ Frau schon lange tot war und seine Familie nur aus seiner Tochter bestand, doch das Thema Familie kam zwischen den beiden Filmvorführern nie zur Sprache. Sie teilten Arbeit, Raum und Zeit, aber sie teilten sich einander nicht mit. Aber so war das in Bombay – das machten alle so! Außerdem lagen über vierzig Jahre zwischen ihnen, so dass ihre Beziehungnaturgemäß eher förmlich war. Doch sie waren durchaus auch verbunden – durch ihren Beruf, die gemeinsame Nutzung von Vorführraum und Babur, und durch die Tatsache, dass nun mal eine Generation auf die andere folgt. Wenn sich unter solchen Bedingungen der Ältere nicht des Jüngeren annahm, dann war das eine Art von Verrat – so einfach war das. Phiroz hatte nur an sich selbst gedacht, er hatte beschlossen, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern und seine Position zu festigen – die restliche Welt sollte gefälligst selbst herausfinden, was Sache war, und dann damit umgehen. Rajneesh Sharma, Abjani, Phiroz – die Leute vom Noor hatten sich allesamt als wahre Kleingeister und Egoisten entpuppt!
    PHIROZ! »Kein Wort hat er zu mir gesagt, aber
ich
habe ihm eine Menge zu sagen!«, dachte Arzee, als er aufsprang und eilig den leeren Balkon verließ. Er lief an der Galerie der Damen vorbei, ohne einen Blick auf sie zu werfen, stürmte zum Treppenhaus und dann hinauf zum Vorführraum. Auf halbem Weg nach oben – er nahm immer zwei Stufen auf einmal – roch er Phiroz schon: diesen Geruch nach Sandelholzseife, Duckmäuserei und Unschuld. Er fauchte und rannte noch schneller nach oben, so dass ihm das Blut im Schädel pochte. Er würde sich den alten Phiroz schnappen, würde ihn piesacken, bis er sich schuldig bekannte.
    Oben in dem hohen Raum mit dem narbigen Steinboden, in dessen Mitte der große schwarze Babur stand, jetzt still und stumm, ringsum die Schränke voller Filmrollen, die schimmeligen Wände zugepflastert mit Bildern, Kalendern und einem Poster von Tendulkar in Aktion, und in der Ecke der Hund – dort oben sah Arzee jetzt den leitenden Filmvorführer mit dem Rücken zu ihm stehen, gebeugt wie ein Baum im Sturm. Phiroz hatte die Filmtür des Babur geöffnetund spähte ins Innere des Apparats. Von einem Regal blickte ein Pantheon von Gottheiten, deren Reich von einer blinkenden blauen Lichterkette umgrenzt und geheiligt wurde, mit traurigen, frommen Augen auf den Parsen hinab. Ahura Mazda, Ganesha, Sai Baba von Shirdi, die Muttergottes … Phiroz achtete alle Götter gleichermaßen, und indem er sie nebeneinander aufreihte, sorgte er dafür, dass auch ihnen gar nichts anderes übrig blieb, als sich gegenseitig zu achten. Drei Uhren tickten an der Wand, von denen eine auf iranische Zeit gestellt war, also zwei Stunden früher, denn Phiroz’ verstorbene Frau war Iranerin gewesen. Auf einem Ofen in einer Ecke des Raums wurde gerade Milch warmgemacht. Der Rauch eines Räucherstäbchens waberte durch den Raum und aus dem Fenster, auf dessen breitem Sims eine Handvoll Tauben stehen geblieben war, um Arzee aus rubinroten Augen anzustarren. Dies war der Raum – der Raum, dem Phiroz dreißig Jahre seines Lebens geschenkt hatte und Arzee fast zehn und der bald nur noch eine Erinnerung sein würde.
    Der alte Filmvorführer schloss jetzt die Filmtür des Projektors, wandte sich um und entdeckte Arzee. Glubschäugig starrte er ihn durch seine Brille an. Er schien mehrere Sekunden zu brauchen, um sich darüber klarzuwerden, wen er da sah.
    »Warum kommst du zu spät?«, fragte er, wobei sich seine Oberlippe unter dem Schnauzbart gereizt hob und senkte. »Wir sind doch hier nicht im Bordell, wo man nach Belieben kommt und geht.«
    Phiroz wischte sich die ölverschmierten Finger an einem schmutzigen Lappen ab und kam hinter dem Projektor hervorgehumpelt. Er rülpste, murmelte: »Diese blöden Bohnen«,und fragte dann noch einmal: »Hä? Warum kommst du so spät?«
    Da! Wie geschickt er

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