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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
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»Soll ich?«, überlegte Arzee, und um ihn begann sich alles zu drehen, er musste sich an dem bröckelnden Backstein festhalten, während sein Herz vor Angst und Aufregung raste. »Im Handumdrehen wird alles vorbei sein. Dieses
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Leben wird hinter mir liegen! Nein – in dem Moment, wo ich loslasse, werde ich es bereuen, so wie ich noch jede Entscheidung in meinem Leben bereut habe! Außerdem sieht der Schacht von hier oben leer aus, aber vielleicht ist er es ja gar nicht. Ich kann meinem Körper nicht trauen – lieber trete ich ein Stückchen zurück, ehe er mich da runterschleudert. Ich bin schweißgebadet! Ah – das ist doch Phiroz’ Stimme!«
    Arzee wischte sich Arme und Gesicht am Ärmel ab, langte nach oben und drückte auf Phiroz’ Klingel. Keine Reaktion. Er klingelte noch einmal, schritt auf und ab, legte das Ohr an die Tür. Gerade hatte er Phiroz doch noch reden hören!
    »Phirozbhai!«, rief er und klopfte gegen das Holz. »Ich bin’s, Phirozbhai! Mach auf!«
    Schießlich hörte er auf der anderen Seite Phiroz’ schlurfenden Schritt.
    »Ich bin’s, Phirozbhai! Ist deine Klingel kaputt?«
    Jetzt hörte er auch eine Frauenstimme, die etwas fragte.
    »Das ist Arzee«, sagte Phiroz. »Arzee der Zwerg. Aber warum ist er hier?«
    Arzee hörte – fast konnte er es sehen –, wie Phiroz’ knotige Finger sich an dem Riegel zu schaffen machten. Dann ging die Tür auf, und Phiroz stand in Unterhemd und
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8 vor ihm, eine Kerze in der Hand. »Warum kannst du nicht deinen Namen sagen?«, fragte er gereizt. »Deine Eltern haben dir nicht ohne Grund einen Namen gegeben.«
    »Ich bin’s doch nur, Phirozbhai. Warum habt ihr keinen Strom?«
    »Den haben sie abgestellt, weil ich vergessen habe, die Rechnung zu bezahlen«, sagte Phiroz. »Jetzt haben wir erst morgen Früh wieder welchen. Was machst du denn hier?«
    »Ich hatte hier in der Gegend zu tun, und da habe ich gedacht, ich schaue mal vorbei. Soll ich reinkommen, Phirozbhai?«
    »Bitte.«
    »Das ist ein historischer Tag in unserer Beziehung, Phirozbhai. Ich war noch nie bei dir zu Hause.«
    Phiroz grunzte. »Wir sehen uns jeden Tag bei der Arbeit, warum sollten wir uns da auch noch besuchen?« Er stellte die Kerze auf einen Tisch. »Such dir irgendwo einen Platz zum Sitzen. Hier herrscht ein ziemliches Durcheinander.«
    Arzee sah sich um. Es herrschte wirklich ein ziemliches Durcheinander – das sah er selbst bei Kerzenlicht. Zeitungenwaren über den Boden verstreut. Ein Unterhemd und eine Hose hingen über der Armlehne eines Sessels. Mitten im Zimmer stand ein roter Eimer, und alle zwei Minuten löste sich von der schimmeligen Decke ein Tropfen und fiel mit einem Plopp in den Eimer. Phiroz’ Tochter war ganz offensichtlich nicht die beste Hausfrau. Oder vielleicht bekamen sie einfach nie Besuch und machten sich deshalb nicht die Mühe, die Wohnung aufzuräumen. Arzee sah ein Bündel Karten und Umschläge unter einem Kissen hervorlugen. Auf einem niedrigen Tischchen lag neben einer halb leeren Tasse Tee ein aufgeschlagenes Adressbuch, von einem Briefbeschwerer offen gehalten. Der Strom war abgestellt, aber Phiroz war am Werk, arbeitete Stück für Stück seine väterlichen Pflichten ab.
    »Falls du – falls du Hilfe bei den Hochzeitsvorbereitungen brauchst, Phirozbhai, sag Bescheid, ja?«, sagte Arzee mit etwas schlechtem Gewissen.
    Phiroz grunzte noch einmal und setzte sich dann. »Schon gut«, sagte er. »Ich komm zurecht.«
    »Ist deine Tochter nicht zu Hause, Phirozbhai? Ich dachte, ich hätte noch eine Stimme gehört.«
    »Ich bin zu Hause!« Eine klare, hohe Stimme ertönte aus der Tiefe der Wohnung. »Wie geht es Ihnen, Mister Arzee? Ich bin Shireen.«
    Arzee fuhr zusammen, so überrascht war er, auf diese Weise begrüßt zu werden. Dann hörte er sich – genauso laut, damit es sie erreichte – zurückrufen: »Hallo! Hallo Miss Shireen! So lernen wir uns nach all den Jahren endlich kennen! Aber bitte nennen Sie mich nicht ›Mister‹.«
    »Also gut. Aber warum nennen Sie mich dann ›Miss‹?«
    »Weil – weil ich Sie ja schließlich noch nicht Mrs. nennen kann!«
    Das Mädchen lachte. »Vater hat mir so viel von Ihnen erzählt.«
    »Ach ja? Was hat er denn gesagt?« Arzee hörte gern, was andere über ihn sagten.
    »Alles Mögliche. Ich bin Ihnen zwar noch nie begegnet, aber ich habe das Gefühl, Sie sehr gut zu kennen.«
    Sie hatte nur zwei oder drei Sätze gesagt, aber schon die zeigten Arzee, dass das Mädchen eine geschmeidige

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