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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
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Innern, denn sie lief auf zwei Beinen, fuchtelte wild mit zwei Armen und stieß eine Mischung aus Gequieke, Gewieher und Gemuhe aus, in das Fetzen aus Filmdialogen und heulende »Taxi! Taxi!«-Rufe eingeflochten wurden –, schon den ganzen Nachmittag also war eine große, grüne, plüschige Flasche in der Inorbit Mall im Vorort Malad herumgeflitzt und hatte für Aufsehen gesorgt.
    Niemand wusste, wer in der Flasche steckte. Ihre Größe ließ auf einen Jungen schließen, aber die Stimme war tief und rau wie die eines Mannes. Die Flasche war aus heiterem Himmel aufgetaucht, und jetzt schien sie an vielen Orten zugleich zu sein. Im einen Moment sah man sie ballettartig über den weißen Marmorboden gleiten, im nächsten fuhr sie mit der Rolltreppe hoch oder runter und murmelte, einen Finger auf den Lippen, verwirrt vor sich hin, während sie die Gesichter der Umstehenden musterte. Ab und zu streckte sie mit einer langsamen, ausholenden Bewegung den Arm in die Höhe, als hätte sie gerade erst gelernt, sich zu bewegen, oder sie hob ein Bein und stand eine Weile gedankenversunken auf dem anderen. Manchmal schwang sie frech die gelb gestreiftenHüften, oder sie stellte sich direkt vor irgendein – vorzugsweise weibliches – Exemplar der menschlichen Spezies und starrte es an. Die Flasche amüsierte sich prächtig, und eine Schar kichernder und kreischender Kinder folgte ihr überallhin, zupfte an ihren Ärmeln und stieß sie in die Rippen. Da die Flasche befürchtete, sie könnte von dieser Meute gefangen genommen werden, sauste sie davon, prallte gegen eine Säule und wurde in eine andere Richtung abgelenkt. Doch dann rutschte ihr der obere Teil ihres Anzugs über die Augen, so dass sie die Orientierung verlor, heftig mit den Armen wedelte und auf den Rücken fiel. Alle lachten, als das geschah, aber das machte nichts – anders als wenn ein Mensch in der Öffentlichkeit hinfiel, war es nicht peinlich. Die Flasche kicherte selbst lauthals, ehe sie aufstand, sich energisch den Staub abklopfte und sich in einer kunstvollen Choreographie des Schmerzes erst an den Brustkorb und dann ans Knie fasste. Nachdem sie den Anzug über dem Kopf zurechtgezogen hatte, damit sie wieder sehen konnte, wirbelte sie auf einer Fußspitze herum.
    »Taxi, Taxi!«, krähte sie. »Halt, halt! Geht nicht ohne mich, Taxi, ich bezahle euch, was ihr wollt! Ich bin Limzee, jetzt in einer neuen, kleineren Größe! Ich nehme nicht viel Platz auf eurem Rücksitz ein, Taxi!«
    Die Flasche wankte gefährlich, als wäre sie betrunken, was durchaus denkbar war, denn schließlich waren Flaschen ja zum Trinken da. Auf dem Weg zu einer ruhigen Ecke, wo er etwas Atem schöpfen wollte, erhaschte Arzee in einem Schaufenster einen Blick auf sich und dachte: »Was für eine Woche! Es kommt mir vor, als hätte ich mein ganzes Leben als Flasche verbracht!«
    Arzee hatte nicht den blassesten Schimmer gehabt, was ihn erwartete, als Deepak ihm Mehndis Nummer gab. Deepakwar raffiniert. Er hatte Arzee nur die Telefonnummer gegeben und gesagt, alles andere werde Mehndi ihm erklären. Und als Arzee dann Mehndi anrief, bat ihn dieser, in sein Büro in Mazgaon zu kommen.
    Also überließ Arzee am nächsten Tag die Abendvorstellung Sule und fuhr mit dem Bus nach Mazgaon. Er ergatterte einen Fensterplatz und setzte sich aufrecht hin, damit er sich ganz der Aussicht widmen und die Blicke der anderen Fahrgäste ignorieren konnte. Und als beiderseits der Straße alte Villen im portugiesischen Stil auftauchten und er Christinnen sah, die etwas Bein zeigten, wusste er, dass er sein Ziel erreicht hatte. Er stieg aus und fand mithilfe der Wegbeschreibungen grinsender Pförtner das über zwanzigstöckige Gebäude, in dem Mehndi sein Büro hatte. Sein Magen verkrampfte sich, denn nun begann ein neues Kapitel in seinem Leben – zum ersten Mal würde er für das Syndikat arbeiten.
    »Warum haben sich sowohl Deepak als auch Mehndi geweigert, mir etwas über die Arbeit zu sagen?«, überlegte er. »Ich weiß es – weil es etwas Gefährliches ist. Aber es gibt immer ein erstes Mal. Ich werde zu einem neuen Menschen werden – ich mache das Syndikat zu meinem Noor. Wenn ich den Schritt erst einmal getan habe, muss ich nicht mehr zurückschauen. Dann bin ich auf der anderen Seite. Und ich werde nicht mehr zurückschauen.«
    Als Arzee das Gebäude betrat, schloss sich gerade die Tür des Aufzugs, und er rannte schnell hin und schob den Fuß dazwischen. Die Tür öffnete sich wieder, und

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