Der kleine Lord
Dienerschaftszimmer hatte sie schon mancherlei von den Eigenheiten des
alten Herrn gehört.
»Von all den sündhaften,
jähzornigen, wilden alten Kerls, deren bunten Rock zu tragen
ich das Pech gehabt, ist der hier der ärgste
Wüterich,« hatte sich Thomas, der lange Bediente,
geäußert.
Und dieser selbe Thomas hatte auch mit angehört, in
welchen Worten der Graf Mr. Havisham gegenüber diese zarte
Fürsorge für seinen Enkel begründet hatte,
und hatte nicht verfehlt, dieselben in den unteren Regionen zu
wiederholen.
»Man läßt ihm den Willen und
füllt seine Zimmer mit Spielzeug,« hatte Mylord
gesagt. »Gebt ihm, was ihm Spaß macht, dann wird die
Mutter schnell vergessen sein – das ist Kinderart.«
Bei diesen liebenswürdigen Absichten war die dem
Grafen vorbehaltene Entdeckung, daß es dieses Kindes Art nun
eben nicht sei, keine erfreuliche für denselben. Er hatte eine
schlechte Nacht gehabt und war den Vormittag über in seinem
Zimmer geblieben. Nach dem zweiten Frühstück
ließ er aber den Enkel doch rufen.
Sofort vernahm er kurze, hastige Schritte in der Halle, und
mit heißen Wangen und blitzenden Augen trat Cedrik bei ihm ein.
»Ich habe immer gewartet, ob du nicht nach mir
schicken würdest,« sagte er, »und ich danke
dir viel tausend-, tausendmal für all die schönen
Sachen! Den ganzen Vormittag hab' ich damit gespielt!«
»So, so!« versetzte der Graf. »Sie
gefallen dir also – hm?«
»O, und wie! Das kann ich dir gar nicht
sagen!« beteuerte Lord Fauntleroy freudestrahlend.
»Eins ist dabei, das ist gerade wie base-ball, nur
daß man's auf einem Brett spielt mit schwarz und
weißen Zapfen. Ich hab's Dawson zeigen wollen, aber sie hat's
nicht recht verstanden – natürlich, weil sie eine
Dame ist, hat sie ja nie Ball gespielt, und ich hab's wahrscheinlich
nicht gut erklärt. Aber du kennst's doch?«
»Ich fürchte, nein,« versetzte der
Graf. »Das ist wohl ein amerikanisches Spiel, nicht? Etwa wie
Cricket?«
»Cricket habe ich nie gesehen; aber Mr. Hobbs hat
mich einigemal mitgenommen, um base-ball spielen zu sehen. Ein ganz
famoses Spiel! O, man wird so aufgeregt! Soll ich das Spiel holen und
dir zeigen? Vielleicht gefällt dir's so gut, daß du
deinen Fuß ganz vergißt – thut er dir heute
sehr weh?«
»Mehr, als mir lieb ist, wenigstens.«
»Dann kannst du's vielleicht nicht
vergessen,« sagte Ceddie mit besorgter Miene.
»Vielleicht wär dir's dann lästig, das Spiel
zu lernen.«
»Geh nur immerhin und hole es,« entschied
der Graf.
Es lag wieder ein ironisches Lächeln um seinen Mund,
als Cedrik mit der Schachtel im Arm und dem größten
Feuereifer in seinem frischen Gesichte zurückkam.
»Darf ich den kleinen Tisch zu dir
hinschieben?« fragte er.
»Klingle nur – Thomas besorgt das.«
»O, das kann ich ganz gut allein! Er ist gar nicht
schwer!«
»Auch gut,« bemerkte der Großvater,
den es sichtlich belustigte, wie eifrig sein kleiner Kamerad die
Vorbereitungen zum Spiele betrieb. Der Tisch wurde glücklich
herbeigeschleppt und dann begann eine gründliche,
ausführliche Auseinandersetzung und eine sehr dramatische
Schilderung des großen base-ball -Wettspieles, das er mit Mr.
Hobbs gesehen hatte. Schließlich konnte das Spiel allen
Ernstes beginnen, und der alte Herr fand es zu seinem Erstaunen
keineswegs langweilig. Sein Partner war mit Leib und Seele dabei, sein
fröhliches Lachen, wenn er einen »famosen
Wurf« gethan hatte, seine unparteiische Freude, wenn er
selbst, oder wenn der Gegner Glück hatte, belebten die Sache
ungemein. Wer dem Grafen vor einigen Tagen gesagt hätte,
daß er Gicht und üble Launen vergessen würde
überm Spiele mit schwarz und weißen
Holzzäpfchen und einem blondlockigen, kleinen Jungen als
Partner! Und nun war er so vertieft darin, daß er's beinahe
überhörte, als Thomas einen Besuch meldete.
Der in Rede stehende Besucher war ein älterer Herr in
schwarzer Kleidung und kein Geringerer, als der Geistliche des Ortes;
derselbe war so verblüfft über das Bild, das sich ihm
bei seinem Eintritt darbot, daß er, einen Schritt
zurückprallend, fast mit Thomas zusammengestoßen
wäre.
Es gab keinen Teil seiner Amtspflicht, den Mr. Mordaunt so
schwierig und so peinlich zu erledigen fand, als den Verkehr mit seinem
Gutsherrn, der die Besuche bei ihm stets zu überaus
unerquicklichen Stunden gestaltete. Gegen Kirchen und
Wohlthätigkeitsanstalten hatte derselbe nun
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