Der kleine Lord
schwierig zu beantworten. »Newick
besorgt das,« sagte er kurz und strich sich den grauen
Schnurrbart. »Wir wollen jetzt nach Hause,« setzte er
hinzu, »und wenn du ein Graf bist, so sieh zu, daß du
ein besserer wirst, als ich gewesen!«
Etwa eine Woche nach diesem Ritt kam Fauntleroy, mit sehr
bekümmertem, traurigem Gesicht von dem Besuche bei seiner
Mutter zurück. Er setzte sich auf den hochlehnigen Stuhl, in
dem er am Abend seiner Ankunft gesessen hatte, und sah eine ganze Weile
in die noch glühende Asche im Kamin. Der Graf beobachtete ihn
im stillen und war gespannt, was nun folgen würde, denn
daß er etwas auf dem Herzen hatte, war sicher. Endlich blickte
Cedrik auf: »Weiß Newick alles von den armen
Leuten?« fragte er.
»Er sollte alles wissen,« erwiderte der
Graf. »Hat er etwas vernachlässigt –
hm?«
So voll Widerspruch ist die menschliche Natur, daß
der alte Herr, der sich sein lebenlang nicht um seine
Gutsangehörigen bekümmert hatte, an dem Interesse des
Kindes für die Leute und an der ersten Gedankenarbeit, die der
kleine Lockenkopf in dieser Richtung vollbrachte, seine ganz besondre
Freude hatte.
»Es gibt im Dorfe,« sagte Fauntleroy, ihn
mit weitgeöffneten, schreckerfüllten Augen
anblickend, »eine Gegend, am äußersten Ende,
Herzlieb hat es gesehen, dort stehen die Häuser ganz nahe bei
einander und sind alle am Einfallen, man kann kaum atmen drin, und die
Leute sind so arm, und alles ist so gräßlich! Oft
haben sie Fieber, und die Kinder sterben und vor lauter Elend werden
die Menschen bösartig! 's ist viel schlimmer als bei Bridget!
Der Regen läuft zum Dache herein! Herzlieb hat eine arme Frau
besucht, die dort wohnt, und dann hab' ich sie gar nicht
küssen dürfen, eh' sie sich anders angezogen hatte.
Wie sie mir es erzählt hat, sind ihr die Thränen aus
den Augen gestürzt.«
Auch in seinen Augen standen Thränen, aber trotzdem
lächelte er voll Zuversicht, als er aufsprang und sich an des
Großvaters Knie schmiegte.
»Ich hab' ihr gesagt, daß du das nur nicht
wüßtest, und daß ich dir's sagen wolle. Du
kannst ja alles besser machen, wie du's bei Higgins gut gemacht hast.
Du hilfst ja allen Menschen! Newick muß nur vergessen haben,
dir das zu sagen.«
Newick hatte es nicht vergessen, er hatte seinem Herrn sogar
mehr als einmal die verzweifelte Lage der Leute in diesem
»Grafenhof« genannten Teile des Dorfes geschildert.
Er kannte sie wohl, die windschiefen, elenden Spelunken mit den nassen
Wänden und zerbrochenen Fensterscheiben und
löcherigen Dächern, in denen Fieber und Elend hauste.
Mr. Mordaunt hatte ihm das alles oft und viel in den
schwärzesten Farben gemalt, und dann hatte der Graf eine
sarkastische Antwort gegeben, und wenn die Gicht gerade schlimm war,
hatte er erklärt, je früher das Gesindel draufgehe,
desto besser. Aber als er jetzt auf die kleine Hand auf seinem Knie
heruntersah und von der Hand in die ehrlichen, offnen, vertrauensvollen
Augen, da überkam ihn ein Gefühl, das mit dem der
Scham starke Ähnlichkeit hatte.
»Was?« sagte er. »Nun willst du
auch noch einen Erbauer von Musterwohnhäusern aus mir machen?
Was für eine Idee!«
»Die greulichen Häuser müssen
abgerissen werden,« erklärte Cedrik eifrig.
»Herzlieb sagt es. O bitte – bitte, wir wollen sie
morgen schon abbrechen lassen! Und wir wollen selbst hingehen; die
Leute freuen sich so, wenn sie dich sehen – sie wissen's dann
schon, daß du kommst, um ihnen wieder zu helfen.«
Der Graf stand auf. »Komm, wir wollen unsern
Abendspaziergang auf der Terrasse machen,« sagte er mit einem
kurzen Auflachen, »und uns die Geschichte
überlegen.«
Neuntes Kapitel
Schwere Sorgen
Die Wahrheit war, daß Mrs. Errol bei ihren Besuchen
im Dorfe, das ihr erst so malerisch erschienen war, viel Elend, Jammer,
Not, Trägheit und Böswilligkeit kennen und nach und
nach einsehen gelernt hatte, daß Erleboro nicht mit Unrecht
für das ärmste und am meisten
vernachlässigte Dorf des ganzen Landesteiles galt. Vieles sah
sie mit eignen Augen, vieles erfuhr sie durch Mr. Mordaunt, der ihr
gern sein Herz ausschüttete und ihres Anteils froh ward. Die
Intendanten, die alles zu verwalten hatten, suchten nur jeglichen
Konflikt mit dem Grafen zu vermeiden, und so wurde von Tag zu Tage
alles schlimmer, Grafenhof war aber in der That ein Fieberherd, und der
Zustand der Häuser sprach laut genug von der
Gleichgültigkeit des
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