Der kleine Lord
wieder im besten Zug, in einem Atem zu drohen und zu
fordern.«
Allerdings war der Graf damals in seiner allerabweisendsten,
vornehmsten Haltung, wie ein alter Riese aus Königsgeschlecht
bei ihr eingetreten und hatte unter den weißen Augenbrauen
hervor die Person fixiert, ohne sie eines Wortes zu würdigen,
wie man sich etwa eine seltsame, aber widerliche Naturerscheinung
besieht. Ohne eine Silbe zu äußern, hatte er sie all'
ihre Redensarten hervorsprudeln lassen und dann erwidert: »Sie
behaupten, die Frau meines ältesten Sohnes zu sein. Wenn Sie
dafür vollgültige Beweise vorlegen können,
so haben Sie das Recht auf Ihrer Seite. In dem Falle ist Ihr Knabe Lord
Fauntleroy. Daß die Sache gründlich geprüft
werden wird, dessen dürfen Sie sich versichert halten, und
wenn Ihre Ansprüche als berechtigt anerkannt werden
müssen, so soll für Sie gesorgt werden. Sehen will
ich weder Sie noch den Knaben, solange ich lebe – nach meinem
Tode wird das Besitztum unglücklicherweise ihm
anheimfallen.«
Damit drehte er ihr den Rücken und schritt stolz und
gelassen hinaus, wie er hereingetreten war.
Wenige Tage darauf wurde Mrs. Errol, die in ihrem kleinen
Boudoir mit Schreiben beschäftigt war, ein Besuch gemeldet.
Das Mädchen, welches die Anmeldung zu bestellen hatte, schien
sehr aufgeregt zu sein, und die vor Verwunderung ganz runden Augen des
jungen Dinges sahen mit ängstlicher Teilnahme auf ihre Herrin.
»Der Graf selbst ist's, gnädige
Frau,« sagte sie zum Tode erschrocken.
Als Mrs. Errol ihr Wohnzimmer betrat, stand ein
ungewöhnlich großer, imposanter alter Mann vor dem
Kamine auf dem Tigerfell. Das scharfe, kühne Profil, der lange
weiße Schnurrbart und ein Ausdruck von Eigenwillen fielen ihr
zuerst in die Augen.
»Mrs. Errol, soviel ich weiß?«
sagte er.
»Mrs. Errol,« bestätigte sie.
»Ich bin Graf Dorincourt.«
Er hielt einen Augenblick inne –
unwillkürlich mußte er ihr in die Augen sehen. Diese
Augen glichen so ganz und gar denen, die er täglich mit ihrem
kindlich liebeerfüllten Blick auf sich gerichtet sah,
daß es eine merkwürdige Empfindung in ihm hervorrief.
»Der Junge sieht Ihnen sehr
ähnlich,« sagte er plötzlich.
»Das hat man mir häufig gesagt,
Mylord,« erwiderte sie, »aber es macht mir
größere Freude, wenn man ihn seinem Vater
ähnlich findet.«
Lady Lorridaile hatte recht gehabt, ihre Stimme klang wirklich
besonders süß und lieblich, und ihr Benehmen war
höchst natürlich und würdig, auch schien
sein unerwartetes Erscheinen sie keineswegs aus der Fassung zu bringen.
»Jawohl,« versetzte der Graf, »er
sieht auch – meinem Sohne ähnlich.« Er
zerrte heftig an den Enden des weißen Bartes. »Wissen
Sie, weshalb ich hierher gekommen bin?«
»Mr. Havisham ist bei mir gewesen und hat mir gesagt,
daß Ansprüche geltend gemacht werden
–«
»Und ich komme, Ihnen zu sagen, daß diese
Ansprüche genau untersucht und bestritten werden sollen, falls
sich dazu irgend eine Möglichkeit bietet. Ich bin gekommen,
Ihnen zu sagen, daß der Junge mit allen Hilfsmitteln des
Gesetzes verteidigt werden soll. Seine Rechte –«
»Er soll nichts besitzen, was nicht wirklich und
wahrhaftig sein Recht ist,« unterbrach ihn die sanfte Stimme,
»selbst wenn irgend ein Gesetz ihm dazu verhelfen
könnte.«
»Das kann das Gesetz leider nicht,« sagte
der Graf, »sonst würde es geschehen. Dieses
erbärmliche Geschöpf und ihr Kind
–«
»Vielleicht hat sie ihren Knaben ebenso lieb, wie ich
meinen Ceddie, Mylord,« sagte die kleine Mrs. Errol,
»und wenn sie die Frau Ihres ältesten Sohnes gewesen
ist, so ist jener Lord Fauntleroy, und mein Kind nicht.«
Sie hatte so wenig Angst vor ihm wie Cedrik, sie sah ihn
gerade so unerschrocken an, wie jener, und das that dem Manne wohl, der
sein lebenlang ein Tyrann gewesen war. Es war ihm so selten begegnet,
daß jemand gewagt hatte, ihm gegenüber andrer Meinung
zu sein, daß es den Reiz der Neuheit für ihn hatte.
»Ihnen wäre es wohl bedeutend lieber, wenn
er nicht Graf Dorincourt zu werden hätte?« fragte er
etwas gereizt.
Ein leichtes Rot flog über das liebliche Gesicht.
»Graf Dorincourt zu sein, ist ein hohes,
glänzendes Los, Mylord, das weiß ich wohl, allein am
meisten liegt mir daran, daß er werden soll, wie sein Vater
war – gut und gerecht und allezeit wahr und treu.«
»In schneidendem Gegensatz zu dem, was sein
Großvater war.«
»Ich habe bis
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