Der kleine Lord
ansah, von Kopf bis zu Fuß! Wie
sich die buschigen Augenbrauen zusammenzogen und wie die feurigen Augen
so wunderlich drunter hervorleuchteten!
»Mein Junge!« sprach er, und seine Stimme
klang seltsam gebrochen, rauh und heiser, und trotzdem er noch
bestimmter und gebieterischer sprach als vorher, wollte sie nicht so
ganz fest bleiben – »Ja, mein Junge bleibst du,
solange ich lebe, und, bei Gott, mir ist's oft, als wärst du
der einzige Junge, den ich je gehabt habe.«
Bis unter die Haarwurzeln war Cedrik von Glut
übergössen – nichts als Freude und
Herzenserleichterung. Mit sehr entschlossener Miene vergrub er die
Händchen in den Tiefen seiner Taschen und sah seinem
Großvater ehrlich ins Gesicht.
»Nun, dann, weißt du,«
erklärte er, »dann mache ich mir gar nichts daraus,
daß ich kein Graf werde – darauf kommt mir's
gewiß nicht an. Ich habe nur gedacht – siehst du
– ich habe gedacht, daß der, welcher Graf wird, auch
dein Junge sein müsse und ich's also nicht mehr sein
könne. Deshalb ist mir so – so wunderlich zu Mut
gewesen.«
Der Graf legte die Hand auf seine Schulter und zog ihn zu sich
heran.
»Nichts, gar nichts sollen sie dir nehmen von dem,
was ich für dich behaupten kann,« sagte er,
mühsam atmend. »Und ich will es nicht glauben,
daß sie dir überhaupt etwas nehmen können.
Du bist für die Stellung geschaffen – und du sollst
sie ausfüllen trotz alledem. Wie es aber auch kommen mag
– das, worüber ich frei verfügen kann,
sollst du haben – alles!«
Es war nicht mehr, als ob er zu dem Knaben spräche,
es war, als ob er sich selbst gegenüber ein Gelübde
ablege.
Wie tief seine Liebe zu dem Enkel und sein Stolz auf ihn
bereits Wurzeln geschlagen hatten, davon hatte er vorher eigentlich
doch selbst keine Ahnung gehabt, und nie waren ihm die
Schönheit und die Frische des Kindes und all' seine
glücklichen Gaben so leuchtend vor Augen getreten. Dieser
eigenwilligen Natur erschien es als ein Ding der
Unmöglichkeit, aufgeben zu sollen, woran er sein Herz
gehängt hatte, und er war entschlossen, es sich wenigstens
nicht leichten Kaufes entreißen zu lassen.
Wenige Tage, nachdem sie Mr. Havisham aufgesucht hatte, fand
sich die Frau, welche die Rechte einer Lady Fauntleroy für
sich in Anspruch nahm, im Schlosse ein und zwar in Begleitung ihres
Kindes. Sie wurde nicht angenommen. Mylord habe die Sache
vollständig seinem Anwalt übertragen und
wünsche nicht, in persönlichen Verkehr mit ihr zu
treten, lautete der Bescheid, den Mr. Thomas mit Hoheit und
Würde erteilte. Den Eindruck, den die Unbekannte auf ihn
gemacht, gab er im Dienerschaftssaal rückhaltlos zum besten.
Er hoffe, lange genug Livree in vornehmen Häusern getragen zu
haben, sagte er, um zu wissen, was eine Dame sei und was nicht, und
wenn dies eine Dame sei, so könne er Katze und Maus nicht
unterscheiden.
»Die draußen in Court Lodge,«
setzte er selbstbewußt hinzu, »Amerikanerin hin oder
her, die ist eine vom rechten Schlag – das sieht jeder
Gebildete auf den ersten Blick. Ich hab's zu Henry gesagt, als wir den
ersten Besuch dort machten.«
Die Frau war fortgefahren – das hübsche,
gewöhnliche Gesicht halb zornig, halb furchtsam. Im Verlaufe
der verschiedenen Unterredungen, die er mit ihr haben mußte,
war Mr. Havisham zu der Ansicht gelangt, daß sie, wohl
leidenschaftlich und frech, jedoch lange nicht so klug und ausdauernd
und mutig war, als sie glaubte. Es gab Augenblicke, in denen die Lage,
in die sie sich gebracht hatte, ihr über den Kopf zu wachsen
schien, und offenbar hatte sie sich keine Vorstellung davon gemacht,
auf welch ernsten Widerstand ihre Ansprüche stoßen
würden.
»Sie ist entschieden aus den niedersten Regionen des
Lebens,« bemerkte der Anwalt gegen Mrs. Errol. »Ohne
alle Erziehung weder durch die Schule noch durch das Leben, ist sie
durchaus nicht gewöhnt, mit Leuten wie wir auf gleichem
Fuße zu verkehren, und weiß sich dabei in keiner
Weise zu benehmen. Der vergebliche Besuch im Schlosse hat sie
vollkommen eingeschüchtert – an Toben und
Wüten darüber hat sie es natürlich nicht
fehlen lassen, aber eingeschüchtert war sie doch. Der Graf
wollte sie nicht empfangen, hat mich aber dann auf meinen Wunsch in die »Dorincourt
Arms« – Sie kennen ja den kleinen
Gasthof – begleitet, wo sie wohnt. Als sie ihn eintreten sah,
wurde sie leichenblaß, einen Augenblick später war
sie freilich
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