Der kleine Lord
der Dinge keineswegs einverstanden und fest
entschlossen sei, die Ansprüche jener Frau mit Hilfe des
Gesetzes zu vernichten, so daß ein großer
Sensationsprozeß zu erwarten stehe.
In der Grafschaft selbst hatte man noch nie eine derartige
Aufregung erlebt. An Markttagen standen die Leute stundenlang bei
einander und berechneten alle Wahrscheinlichkeiten und
Möglichkeiten des unerhörten Falls; die
Pächtersfrauen luden einander auffällig
häufig zum Thee ein und tauschten aus, was jede
gehört hatte, und teilten einander ihre eignen Ansichten und
die von andern Leuten mit. Ueber den Zorn des Grafen waren
haarsträubende Geschichten im Umlaufe, und daß er um
keinen Preis den neuen Erben anerkennen werde, wußte
jedermann, so gut wie, daß er die Mutter desselben
tödlich haßte. Am genauesten unterrichtet war
natürlich wieder einmal Mrs. Dibble, und die Frequenz ihres
Geschäfts steigerte sich in diesen erregten Tagen abermals
bedeutend.
»Schief wird's gehen,« meinte sie,
»und wenn Sie mich fragen, so sag' ich, 's ist die Strafe
dafür, daß er die herzgute junge Kreatur so schlecht
behandelt hat und ihr das Kind genommen – in den ist er jetzt
ganz vernarrt und hat sein hoffärtiges Herz an ihn
gehängt, und deshalb bringt ihn die Geschichte schier um. Und
was ihm auch hart eingeht, aber ganz recht geschieht, die Neue da, sie
ist keine feine Dame, wie des kleinen Lords Mama. Ein freches,
schwarzäugiges Ding ist's, und Mr. Thomas sagt, was ein feiner
Diener ist, wird sich von so einer nie nichts sagen lassen, und an dem
Tage, wo die Madame ins Haus kommt, packt er seine Siebensachen. Ach du
lieber Gott, und der Jung – so verschieden vom kleinen Lord,
wie Tag und Nacht. Was aus der Sache noch kommen wird, das
weiß kein Mensch: Gott steh' uns bei – keinen
Blutstropfen hätt' ich von mir gegeben, wenn Sie mich mit
Nadeln gestochen hätten, so kreideweiß bin ich vor
Schreck gewesen, wie die Jane mir's erzählt hat.«
Auch im Schloß selbst trat keine Ruhe ein. In der
Bibliothek saßen der Graf und Mr. Havisham in endlosen,
aufgeregten Beratungen bei einander; im Dienerschaftssaal waren Mr.
Thomas und der Haushofmeister zu allen Tageszeiten in ernstem
Gespräche zu treffen, dem die andern andächtig
lauschten, und im Stalle waltete Wilkins in sehr gedrückter
Stimmung seines Amtes, bürstete den braunen Pony noch viel
sorgfältiger als je und versicherte dem Kutscher immer wieder,
daß er nie einen jungen Herrn reiten gelehrt habe, dem die
edle Kunst so »natürlich« gewesen sei, und
daß dies ausnahmsweise einer sei, bei dem sich's lohne,
hinterdrein zu reiten.
Inmitten all der Bekümmernis und Not blieb nur ein
Herz ruhig und unberührt von Sorge, und das war das kleine
Herz Lord Fauntleroys, der nun bald kein Lord mehr sein sollte. Als man
ihm die Lage der Dinge erstmals auseinandergesetzt hatte, war er sehr
bestürzt und bekümmert gewesen, es zeigte sich jedoch
bald, daß diesem Gefühle kein gekränkter
Ehrgeiz zu Grunde lag.
Auf einem Stuhle sitzend, die Händchen um die Kniee
geschlungen, wie es seine Gewohnheit war, hörte er dem Grafen
zu, als dieser ihm von dem unliebsamen Ereignis mitteilte, soviel er
für nötig hielt, wobei Cedrik allmählich
immer ernsthafter dreinschaute.
»Mir – mir ist ganz wunderlich zu
Mut,« sagte er, als der Graf zu Ende war.
Schweigend blickte der alte Mann auf das Kind. Ihm war auch
wunderlich zu Mut, so wunderlich, wie nie zuvor im Leben, um so mehr,
als er nun das sonst so sonnige, glückliche Kindergesicht
ängstlich und erschrocken vor sich sah.
»Werden sie Herzlieb ihr Haus nehmen und –
und ihren Wagen?« fragte Cedrik mit etwas unsichrem Stimmchen.
»Nein!« rief der Graf sehr bestimmt und
merkwürdig laut. »Ihr können sie nichts
nehmen.«
»Ach!« sagte Cedrik sichtlich erleichtert.
»Das können sie nicht?«
Dann sah er den Großvater fest an, und es lag ein
tiefer Schatten in den braunen Augen.
»Wird dann,« begann er stockend,
»wird dann der andre – wird der dann dein Junge
sein, so wie ich?«
»Nein!« ertönte es mit so
mächtiger Stimme, daß Cedrik zusammenschreckte.
»Nein?« wiederholte er fragend.
»Ich – ich hab' gedacht, daß
–«
Plötzlich stand er auf.
»Kann ich dein Junge bleiben, auch wenn ich kein Graf
werde? Willst du's, daß ich dein Junge bleibe?« Jeder
Zug des kleinen Gesichts drückte die höchste Spannung
aus.
Wie der alte Graf ihn
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