Der Kleine Mann und die Kleine Miss
berichtete der Kriminalkommissar. »Hier residierte der
jeweilige Generalkapitän während seiner Inspektionsreisen. Hier hielt er
Gericht, und von hier aus bekämpfte er aufständische Indios. Später verfiel das
Fort.
Lopez
kaufte es vor dreißig Jahren, ließ das Gemäuer wieder herstellen und technisch
auf Hochglanz bringen. Eigne Funkstation, eigne Wasserversorgung, eigne
Elektrizität. Es ist alles vorhanden. Es gibt nichts, was es nicht gäbe.«
»Waren
Sie denn drin?«, fragte Mäxchen gespannt.
»Jawohl.
Davon später. Was man jetzt sieht, ist der quadratische Innenhof. Er ist, bis
auf den Rosengarten links, mit Betonplatten ausgelegt. Die Mädchen, die im
Badeanzug herumhüpfen, sind die Tänzerinnen, die den Señor abends unterhalten
müssen.
Sie
trainieren.«
»Sehr
späte Mädchen«, meinte Rosa Marzipan.
»Kein
Wunder«, sagte Steinbeiß. »Sie wurden vor zehn Jahren aus einem Nachtklub in
Mexiko City entführt und waren schon damals nicht mehr ganz neu.«
»Mit
dem Teleobjektiv aufgenommen?«, fragte der Jokus.
»Ja.«
»Aber
wo, um alles in der Welt, stand die Kamera?«, fragte Drinkwater.
»Sie
stand nicht. Sie hing. Im Wipfel einer sechzig Meter hohen Araukarie, eines der
riesigen Nadelbäume, die hier wachsen.
Unsre
Indios hatten einen Hochsitz montiert. Der Kameramann wurde nachts hochgehievt
und in der Nacht darauf abgeseilt. Eine luftige Angelegenheit.«
»Sind
das die Scharfschützen, die im Hof antreten?«, fragte Mäxchen.
»Ja.
Wachablösung«, erklärte Steinbeiß. »Die Gruppe links kommt vom Mittagessen, die
Gruppe rechts geht zum Mittagessen.«
»Müde
Löwen«, sagte der Jokus abfällig.
»Müde?«
Mäxchen schien es zu bezweifeln. »Der eine Herr Löwe hat dem Fräulein im roten
Badeanzug eben eins hintendraufgehauen.«
»So
etwas sieht man nicht«, bemerkte Rosa Marzipan streng.
»Du
wirst nie ein feines Kind.«
Mäxchen
kicherte.
»Etwas
mehr Ruhe«, bat der Kriminalkommissar. »Der Lastwagen, der aufs Burgtor
zufährt, gehört Miguel, einem Viehzüchter. Dreimal in der Woche bringt er
frisches Fleisch, Wurst, Schmalz und Hühner. Der Indio, der auf der Plane
hockt, ist kein Indio, sondern der Detektiv MacKintosh. Er hat sich die Haare
gefärbt.«
»Und
wie wurde die Fahrt gefilmt?«, fragte Mister Drinkwater.
»Von
einem zweiten Wagen aus?«
»Jawohl.
Wir folgten in zehn Meter Abstand. Im Wagen von Gonzales, der das Obst und
Gemüse liefert. Richardson, der mit seiner Handkamera unter vier Bananenstauden
lag, dachte, er werde sich das Kreuz brechen.«
»Waren
Sie auch als Indio verkleidet?«, fragte Mäxchen.
»Natürlich.
Achtung, das Tor öffnet sich.«
Das
Burgtor öffnete sich. Miguels Wagen bremste in der Hofmitte. MacKintosh sprang
vom Wagen, schlug die Plane hoch und schulterte ein ausgeschlachtetes Kalb. Ein
paar Männer kamen angetrabt und halfen beim Abladen. Als sie einem von ihnen
einen halben Ochsen aufpackten, schrie Mäxchen: »Das ist ja der Kahle Otto!«
»Stimmt«,
sagte Herr Steinbeiß. »Das ist er. Und der Mann mit der weißen Schürze und der
Kochmütze, der ins Bild kommt, ist der Küchenchef, Monsieur Gérard, Inhaber von
drei Goldmedaillen. Er war, leider gleichzeitig, mit drei Frauen verheiratet
gewesen und hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt, als ihm Lopez aus der
Klemme half. Doch nun bitte ich um Ihre ganz besondere Aufmerksamkeit. Die
Kamera schwenkt zum Rosengarten hinüber. Wir sehen einen rundlichen Herrn.«
Der
Herr trug einen Anzug aus Rohseide, hatte einen Strohhut auf dem Kopf und
schnitt behutsam eine dunkelrote Rose ab. An seinen kurzen, dicken Fingern
funkelten und blitzten Ringe wie in einem Juwelierladen.
»Das
muss er sein«, flüsterte Mäxchen.
»Das
ist er«, sagte der Kriminalkommissar. »Das ist Señor Lopez, der reichste Mann
der Welt. Er lässt Menschen rauben, die ihm die Zeit vertreiben und die er
füttert. Sie leben wie in einem Zoo für seltene Zweibeiner.«
Mäxchen
seufzte. »Hier wäre ich gelandet!«
Señor
Lopez kam nun mit wiegenden Schritten über den Hof, blieb vor Miguels
Lieferwagen stehen, sprach mit dem französischen Koch und musterte, während er
an der Rose schnupperte, einen halben Ochsen, der abgeladen wurde. Dann nickte
er, machte 115
kehrt
und ging auf ein Gebäude zu, an dessen Portal ihn ein altes, zotteliges
Frauenzimmer erwartete. Beide verschwanden im Haus.
»Das
war die Zigeunerin, von der er sich wahrsagen lässt«, erklärte der Kommissar.
»Und nun kommen zwei
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