Der kleine Nadomir
tatsächlich töten werden, wenn ich den Schamanen nicht retten kann?«
Selamy hob die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
Ein junges Mädchen betrat die Hütte. »Ihr sollt zu Olinga kommen«, sagte sie.
Nun ist es soweit, dachte Sadagar und griff nach seinen noch immer feuchten Kleidern.
Männer und Frauen waren dabei, die Erdhütten abzudecken. Sie zogen die Felle von den aus Holz und Knochen gefertigten Gestellen, rollten sie zusammen und verstauten sie auf den Schlitten. Andere brieten das Fleisch über großen Feuern. Überall herrschte ein geschäftiges Treiben.
Das Mädchen führte sie in Chwums Hütte. Sadagar glaubte zu ersticken, so scheußlich roch es. Er begann zu husten, und Tränen stiegen ihm in die Augen.
Die hochgewachsene Frau, die so begehrliche Blicke auf Nottr geworfen hatte, stand neben dem Lager des Sterbenden und sah Sadagar mit unbewegtem Gesicht an. »Ich bin Olinga«, sagte sie mit fester Stimme. »Du bist Adagar.«
»Ja, ich bin Sadagar, ein mächtiger Schamane meines Stammes.«
»Dann beweise mir, wie mächtig du bist, Alter.« Das Mädchen trat zwei Schritte zur Seite, und nun sah Sadagar den röchelnden Greis, der noch immer bewusstlos war. Seine Hoffnung, ihn heilen zu können, war äußerst gering. Auf den ersten Blick hatte er gesehen, dass hier jede Hilfe zu spät kam.
Bedächtig kam Sadagar näher und blieb neben Olinga stehen. Der bestialische Gestank in der Hütte legte sich schwer auf seine Lungen.
»Ich brauche warmes Wasser«, keuchte Sadagar. »Das sollst du bekommen.«
Der Steinmann kniete neben dem Sterbenden nieder und lüftete rasch eines der Felle, mit denen Chwum zugedeckt war. Der Körper des Schamanen war zum Skelett abgemagert, er schien nur mehr aus Haut und Knochen zu bestehen. Heilen konnte er Chwum keinesfalls, er konnte nur sein Leben verlängern, und das wollte er tun.
Er öffnete den Lederbeutel, in dem sich die Kräuter befanden, die ihm bei Nokko schon geholfen hatten. »Das Wasser«, bat er.
Olinga reichte ihm einen einfachen Holzbecher, der bis zum Rand mit Wasser gefüllt war. Sadagar warf ein gelbes Pulver hinein und bewegte den Becher leicht. Das Pulver löste sich langsam auf, und kurze Zeit später stiegen gelbe Dampfwolken auf. Er stellte den Becher auf den Boden und holte aus einer Innentasche einen Tiegel mit Erdfarbe heraus. Er schmierte etwas Farbe auf die Stirn des Schamanen, dann zog er Linien über die Nase, die Wangen und das Kinn. Dabei murmelte er völlig sinnlose Worte, die aber recht eindrucksvoll klangen.
Schließlich stand er auf, schloss die Augen und steigerte seine Stimme. Aus dem Becher zogen noch immer gelbe Schwaden hervor. Er trat zwei Schritte zurück und warf ein paar getrocknete Blätter ins Feuer, das augenblicklich die Farbe änderte. Die Flammen waren nun giftgrün, und ein eklig süßer Geruch breitete sich in der Hütte aus.
Aus dem Augenwinkel beobachtete er Olinga, deren Gesicht weiterhin völlig unbewegt blieb.
Sadagar überlegte, wie er die junge Frau beeindrucken könne. Schließlich entschied er sich für einen einfachen Zauber, den er Thonensen abgeschaut hatte.
Er richtete sich plötzlich auf, seine Glieder strafften sich, und er stieß einen gellenden Schrei aus. Dann bewegte er ruckartig den rechten Arm und zeigte mit dem Zeigefinger auf das Feuer. »Sita!« schrie er und krümmte den Finger zusammen.
Zischend, so als habe jemand einen Kübel Wasser in die Feuerstelle geschüttet, erloschen die Flammen. Augenblicklich war es dunkel in der Hütte. Nur ein schwacher Lichtschimmer fiel durch die Rauchabzugsöffnung.
Sadagar bückte sich, hob den Becher hoch und reichte ihn Olinga. »Chwum muss den Heiltrank trinken«, sagte er.
Olinga ergriff den Becher und kauerte neben dem Lager nieder.
»Siku, majuma, miezi er miaka«, flüsterte Sadagar und bewegte rasend schnell seine rechte Hand.
Die Wirkung dieses Zaubers war so verblüffend, dass Olinga einen unterdrückten Schrei ausstieß. Die Linien, die Sadagar auf Chwums Gesicht gemalt hatte, begannen plötzlich zu leuchten. Es war, als würden Flammen aus Chwums Gesicht lodern.
»Gib ihm den Heiltrank zu trinken!« sagte Sadagar scharf.
Sie gehorchte. Sie hob den Kopf des Bewusstlosen an, drückte den Becher an seine Lippen und ließ die gelbe Flüssigkeit in seinen Mund rinnen.
Sadagar war mit sich sehr zufrieden. Das habe ich sehr eindrucksvoll gestaltet, freute er sich.
Als der Becher leer war, wollte die Frau aufstehen. »Du musst sein
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