Der Kleine Prinz (German Edition)
Purpur und Hermelin auf einem sehr einfachen und dabei sehr königlichen Thron.
»Ah! Sieh da, ein Untertan«, rief der König, als er den kleinen Prinzen sah.
Und der kleine Prinz fragte sich: Wie kann er mich kennen, da er mich noch nie gesehen hat?
Er wusste nicht, dass für die Könige die Welt etwas höchst Einfaches ist: Alle Menschen sind Untertanen.
»Komm näher, dass ich dich besser sehe«, sagte der König und war ganz stolz, dass er endlich für jemanden König war.
Der kleine Prinz schaute sich nach einer Sitzgelegenheit um, aber der ganze Planet war bedeckt von dem herrlichen Hermelinmantel.
Er blieb also stehen, und da er müde war, gähnte er.
»Es verstößt gegen die Etikette, in Gegenwart eines Königs zu gähnen«, sagte der Monarch. »Ich verbiete es dir.«
»Ich kann es nicht unterdrücken«, antwortete der kleine Prinz ganz verwirrt. »Ich habe eine weite Reise gemacht und habe nicht geschlafen …«
»Dann«, sagte der König, »befehle ich dir zu gähnen. Ich habe seit Jahren niemanden gähnen sehen, das Gähnen ist für mich eine Seltenheit. Los! gähne noch einmal! Es ist ein Befehl.«
»Das ängstigt mich, jetzt kann ich nicht mehr …«, stammelte der kleine Prinz und errötete.
»Hm, hm!«, antwortete der König. »Also dann … befehle ich dir, bald zu gähnen und bald …«
Er murmelte ein bisschen und schien verärgert. Denn der König war sehr darauf bedacht, dass seine Autorität respektiert werde. Er duldete keinen Ungehorsam. Er war ein absoluter Monarch. Aber da er auch sehr gütig war, gab er vernünftige Befehle. »Wenn ich geböte«, pflegte er zu sagen, »wenn ich einem General geböte, sich in einen Seevogel zu verwandeln, und wenn dieser General nicht gehorchte, es wäre nicht die Schuld des Generals. Es wäre meine Schuld.«
»Darf ich mich setzen?«, fragte schüchtern der kleine Prinz.
»Ich befehle dir, dich zu setzen«, antwortete der König und zog einen Zipfel seines Hermelinmantels majestätisch an sich heran.
Aber der kleine Prinz staunte. Der Planet war winzig klein. Worüber konnte der König wohl herrschen?
»Herr …«, sagte er zu ihm, »ich bitte, verzeiht mir, dass ich Euch frage …«
»Ich befehle dir, mich zu fragen«, beeilte sich der König zu sagen.
»Herr …, worüber herrscht Ihr?«
»Über alles«, antwortete der König mit großer Einfachheit.
»Über alles?«
Der König wies mit einer bedeutsamen Gebärde auf seinen Planeten, auf die anderen Planeten und auf die Sterne.
»Über all das?«, sagte der kleine Prinz.
»Über all das …«, antwortete der König.
Denn er war nicht nur ein absoluter Monarch, sondern ein universeller.
»Und die Sterne gehorchen Euch?«
»Gewiss«, sagte der König. »Sie gehorchen aufs Wort. Ich dulde keinen Ungehorsam.«
Solche Macht verwunderte den kleinen Prinzen sehr. Wenn er sie selbst gehabt hätte, wäre es ihm möglich gewesen, nicht dreiundvierzig, sondern zweiundsiebzig oder sogar hundert oder selbst zweihundert Sonnenuntergängen an ein und demselben Tage beizuwohnen, ohne dass er seinen Sessel hätte rücken müssen. Und da er sich in der Erinnerung an seinen kleinen verlassenen Planeten ein bisschen traurig fühlte, fasste sich der kleine Prinz ein Herz und bat den König um eine Gnade:
»Ich möchte einen Sonnenuntergang sehen … Machen Sie mir die Freude … Befehlen Sie der Sonne unterzugehen …«
»Wenn ich einem General geböte, nach der Art der Schmetterlinge von einer Blume zur andern zu fliegen oder eine Tragödie zu schreiben oder sich in einen Seevogel zu verwandeln, und wenn dieser General den erhaltenen Befehl nicht ausführte, wer wäre im Unrecht, er oder ich?«
»Sie wären es«, sagte der kleine Prinz überzeugt.
»Richtig. Man muss von jedem fordern, was er leisten kann«, antwortete der König. »Die Autorität beruht vor allem auf der Vernunft. Wenn du deinem Volk befiehlst zu marschieren und sich ins Meer zu stürzen, wird es revoltieren. Ich habe das Recht, Gehorsam zu fordern, weil meine Befehle vernünftig sind.«
»Was ist also mit meinem Sonnenuntergang?«, erinnerte der kleine Prinz, der niemals eine Frage vergaß, wenn er sie einmal gestellt hatte.
»Deinen Sonnenuntergang wirst du haben. Ich werde ihn befehlen. Aber in meiner Herrscherweisheit werde ich warten, bis die Bedingungen dafür günstig sind.«
»Wann wird das sein?«, erkundigte sich der kleine Prinz.
»Hm, hm!«, antwortete der König, der zunächst einen großen
Weitere Kostenlose Bücher