Der Kleine Prinz Kehrt Zurück
der kleine Prinz. »Sie ist nur eine Blume, mit Blättern und Dornen.«
»Aber Blumen können doch nicht sprechen«, wandten sie ein.
»Sie ist eben eine besondere Blume«, gab der kleine Prinz zur Antwort.
»Und der Tiger?« bohrten sie weiter. »Was sollen wir unter dem Tiger verstehen?«
»Einen gewöhnlichen Tiger eben, dem das Zirkusleben zuviel wurde«, erwiderte der kleine Prinz. »Deshalb ist er weggelaufen und hat sich auf meinem Planeten eingerichtet.«
Sie gaben ihm aber auch Rätsel auf.
»Ist das Schaf das Lamm?« fragten sie zum Beispiel.
»Es war ein Lamm, als es klein war«, sagte der kleine Prinz verwundert. »Ist das nicht bei allen Schafen so?«
Diese Erklärungen genügten ihnen nicht. Sie bildeten kleine Zirkel, um seine Worte zu analysieren.
»Der Tiger ist ein Ausdruck des Bösen in uns selbst«, meinte einer. »Anfangs war der Tiger in seinem Käfig gefangen, der Mensch beherrschte seine niederen Instinkte. Heute erlegt er sich keinerlei Zurückhaltung mehr auf und begeht die schlimmsten Greueltaten.«
»Die Rose verkörpert das Gute«, ergänzte ein anderer, »ein kostbares, verletzliches Gut, das Schutz braucht vor den Angriffen des Bösen. Wir alle müssen zu Tiger Jägern werden, um das Böse, das tief in uns lauert, aufzuspüren und zu besiegen.«
»Das Lamm ist zu einem starken, kraftvollen Tier herangereift. In Anbetracht der Gefahren, die der Tiger uns verheißt, müssen wir unser inneres Wachstum beschleunigen, unsere tieferen Werte nähren und unseren Charakter stärken.«
So diskutierten sie tage- und nächtelang. Schließlich wandten sie sich an den kleinen Prinzen und legten ihm die Früchte ihres Denkens dar. Er möge ihnen doch einen Fingerzeig geben und ihnen sagen, ob sie seine Lehre richtig verstanden hätten.
Der kleine Prinz hörte ihnen zu, höflich wie immer, um dann unermüdlich zu wiederholen:»Die Rose ist eine Pflanze. Der Tiger und das Schaf sind Tiere.«
Doch damit stieß er bei ihnen auf taube Ohren. Seine Antworten befriedigten sie nicht, sie waren zu einfach. Seine Worte mußten etwas anderes verhüllen, eine so tiefe, so dunkle Wahrheit, daß sie sie nicht erkennen konnten. Also nahmen sie ihre Grübeleien wieder auf und kümmerten sich nicht weiter um ihn.
Tage vergingen. Der kleine Prinz kam zu dem Ergebnis, daß diese Menschen ihm auf ihre Weise ein bißchen ähnlich waren. Auch sie suchten nach etwas und fanden es nicht. Sie konnten machen, was sie wollten, alle Winkel ihres Gehirns durchstöbern und sich den Kopf auf alle möglichen Weisen zerbrechen - jeder Gedankengang führte in eine Sackgasse.
In einer tintenschwarzen Nacht überließ er sie ihren fruchtlosen Betrachtungen, ein wenig enttäuscht, daß sie über ihrer fieberhaften Jagd nach einem ebenso ungreifbaren wie trügerischen Licht ganz vergessen hatten, daß er ihre Hilfe für seine Suche gebraucht hätte.
Wieder ging ein Tag zur Neige, und wieder hatten wir kein Schiff entdeckt, nicht einmal eines, das wie eine Ameise über den feinen Saum gekrochen wäre, wo der Himmel in der Ferne ans Meer genäht ist.
Wir pflückten ein paar von den Früchten, die uns die Natur in ihrer üblichen Großmut spendiert hatte, und setzten uns an den Strand, um auf den Beginn des Schauspiels zu warten, das uns Tag für Tag zur Stunde der Dämmerung von neuem verzauberte.
Nie war jemandem das Herz so schwer vor Sehnsucht wie dem kleinen Prinzen an diesem Abend.
»Auf meinem Planeten rücke ich mir immer einen Stuhl zurecht, um die Sonne zu beobachten«, sagte er. »Wenn sie heruntersteigt, um sich hinter dem Horizont zu verstecken, ist sie immer zu Streichen aufgelegt. Dann setzt sie ihre Unschuldsmiene auf und bekleckst den Himmel in allen Farben.«
Ich erzählte ihm, daß ich es ihm zu Hause in gewisser Weise gleichtat und in meinem Sessel sitzend Landkarten studierte.
»Es ist nicht so wichtig, was man tut«, philosophierte er. »Wichtig ist die Zeit, die man den Dingen widmet. Wenn man sich für einen Sonnenuntergang oder für eine Landkarte Zeit nimmt, zeigt man damit, daß man sie achtet, daß man dankbar ist für diesen kostbaren Augenblick des Lebens.«
Wir berauschten uns an der Kokosmilch und sahen schweigend zu, wie der Ozean den glühenden Ball in einer verschwenderischen Fülle von Gold und Rubin verschlang. Ein großer Friede erfüllte mich.
Ich weiß nicht warum, aber als der kleine Prinz ankündigte, er werde nicht mehr lange hier sein, überraschte mich das nicht sonderlich. Er habe
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