Der kleine Vampir (01)
mit den Schultern und sagte: «Fast genauso. Nur noch besser.»
«Noch besser?», rief der Vater und brach in ein schallendes Gelächter aus. «Eitel bist du wohl gar nicht!»
«Nein», sagte Anna.
«Und schüchtern auch nicht!»
«Nur manchmal», sagte Anna mit einem Blick auf Anton.
«Und ihr geht immer zusammen zum Fasching, dein Bruder und du?»
«Ja. Wir machen fast alles gemeinsam.»
«Streitet ihr euch denn nie?»
«Doch», sagte Anna, «er hat nämlich in manchen Dingen ziemlich altmodische Ansichten.»
«So? In welchen denn?»
«Ach – in allem, was Mädchen betrifft. Er behauptet, Jungen wären mutiger als Mädchen.»
«Sind sie das nicht?», fragte der Vater.
«Wie bitte?», zischte Anna. «Sind Sie etwa auch so einer?» Ihr Gesicht war vor Empörung rot angelaufen.
«Na ja», lenkte der Vater ein, «du musst zugeben, dass die meisten Mädchen lieber hübsche Kleider anziehen, als auf Bäume zu klettern und sich schmutzig zu machen.»
«Was?», rief Anna. «Das stimmt doch nicht! Warum haben die Mädchen hübsche Sachen an? Weil ihre Mütter sie ihnen angezogen haben! Und warum klettern sie nicht auf Bäume? Weil sie ihre Sachen nicht dreckig machen dürfen!»
«Stimmt», nickte die Mutter.
«Aber die Spielsachen», sagte der Vater, «Jungen spielen mit Autos und Mädchen mit Puppen.»
«Ich glaub, mein Sarg klemmt!», rief Anna entrüstet. «Sie haben aber überhaupt keine Ahnung.»
«Was sagst du, Anton?», fragte der Vater.
«Ich?» Anton zögerte. «Ich finde Mädchen blöd, die immer kichern und sich beim Völkerball gleich abwerfen lassen.»
«Und ich finde Jungen blöd, die immer sagen, Mädchen könnten nicht Fußball spielen», erklärte Anna.
«Ist dein Bruder so einer?», fragte die Mutter.
Anna nickte. «Dabei war unser Urvampir auch eine Frau!», sagte sie.
«Wie? Uhr-Vampir?», lachte der Vater und tippte auf seine Armbanduhr. «Ein Vampir zum Aufziehen?»
Anton durchfuhr es siedend heiß. Nun hatte sich Anna doch verplappert!
Aber Anna war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen.
«Ich meine natürlich, unsere Urvampir», verbesserte sie sich, «das ist nämlich meine Großmutter. Die hieß Klothilde Hermine Sieglinde Charlotte Sabine Vampir von Schlotterstein!»
«Sehr klangvoller Name», sagte der Vater.
«Nur zu lang», sagte Anna, «und deshalb wird er eben abgekürzt.»
«Eine spaßige Familie seid ihr!», sagte der Vater und lachte.
«Finden Sie?», sagte Anna mit beleidigter Miene. «Spaßig finden uns die meisten, die mit uns zu tun haben, nicht!»
«Nicht?», sagte der Vater. «Wie dann?»
«Das», sprach Anna hoheitsvoll, «möchte ich lieber nicht sagen. Und außerdem muss ich jetzt gehen.»
«Schon?», fragte der Vater.
«Ja.» Sie stand auf und zog ihren Umhang glatt.
«Aber ihr kommt bald mal wieder?», sagte der Vater. «Anton wäre sonst bestimmt untröstlich», fügte er hinzu.
«Wirklich?», sagte Anna und warf Anton einen zärtlichen Blick zu. «Ja, dann …» Eine dunkle Röte stieg ihr ins Gesicht, und schnell drehte sie sich um und ging in den Flur.
«Halt», rief der Vater, «du gehst in die falsche Richtung! Die Haustür ist links.»
«Ach so», sagte Anna betreten. In alter Gewohnheit hatte sie wieder aus Antons Fenster fliegen wollen! Aber nun marschierte sie brav zur Haustür, verabschiedete sich und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten.
Nachspiel
«Ein nettes Mädchen!», sagte der Vater, als sie wieder am Tisch saßen. «Und wie hat sie dir gefallen, Helga?»
«Mir? Ich fand sie etwas merkwürdig.»
«Merkwürdig? Wieso denn?»
«Das blasse Gesicht – der komische Umhang – die Stimme –»
«Und wie gefiel dir Rüdiger?», fragte er.
«Rüdiger? Der war ja noch schlimmer! Mit seinen blutunterlaufenen Augen und den Knochenfingern …»
«Aber das sind doch Kinder», sagte der Vater und lachte, «du lässt dich zu leicht ins Bockshorn jagen!»
«Ins – was?», kicherte Anton.
Der Vater warf ihm einen tadelnden Blick zu. «Du sei mal ganz still!», sagte er. «Schließlich hast du den Vampirzauber überhaupt erst aufgebracht!»
«Ich?», rief Anton empört. «Vampire gibt es schon seit dem Mittelalter!»
«So?», sagte der Vater. «Und woher weißt du das?»
«Das hab ich gelesen.»
«In deinen Schauerromanen, was?»
«Nein. Im Lexikon.»
«Das interessiert mich auch», sagte die Mutter. «Stand das in unserem Lexikon?»
«N-nein», stotterte Anton, «in – in dem in der Schule.»
«Aber ich kann
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