Der Klient
wenn Sie uns nach New Orleans bringen können, dann finden wir auch Romeys Haus.«
»Weshalb Romeys Haus?«
»Weil dort die Leiche sein soll.«
Das war das Allerletzte, was sie wissen wollte. Sie nahm langsam die Brille ab und rieb sich die Augen. Zwischen ihren Schläfen bildete sich ein leichter Kopfschmerz, der nur schlimmer werden konnte.
Romeys Haus? Das Heim des dahingeschiedenen Jerome Clifford? Er hatte das ganz langsam gesagt, und sie hatte es ganz langsam gehört. Sie konzentrierte sich auf die Schlußlichter vor ihnen, aber sie waren nichts als verschwommene rote Flecke.
Romeys Haus? Das Opfer des Mörders war im Hause des Anwalts des Angeklagten vergraben? Das war doch mehr als abartig! Ihr Verstand raste im Kreise herum, stellte sich Hunderte von Fragen und beantwortete keine von ihnen. Sie schaute in den Spiegel und wurde sich plötzlich bewußt, daß er sie mit einem seltsamen Lächeln betrachtete.
»Jetzt wissen Sie es, Reggie«, sagte er.
»Aber wie, warum …«
»Fragen Sie mich nicht, denn ich weiß es nicht. Es ist verrückt, nicht wahr? Deshalb glaube ich, Romey könnte gesponnen haben. Ein kaputter Verstand, der sich diese irre Geschichte über die Leiche in seinem Haus ausgedacht hat.«
»Du glaubst also nicht, daß sie wirklich dort ist?« fragte sie, Bestätigung suchend.
»Das wissen wir erst, wenn wir nachgeschaut haben. Wenn sie nicht da ist, bin ich aus dem Schneider und kann wieder ganz normal leben.«
»Aber was ist, wenn sie da ist?«
»Darüber zerbrechen wir uns den Kopf, wenn wir sie finden sollten.«
»Mir gefällt deine Idee nicht.«
»Weshalb nicht?«
»Also hör mal, Mark, mein Sohn, Klient, Freund, wenn du glaubst, ich führe nach New Orleans, um einen Toten auszugraben, dann bist du verrückt.«
»Natürlich bin ich verrückt. Ricky und ich, wir sind beide Fälle für die Klapsmühle.«
»Ich werde es nicht tun.«
»Warum nicht, Reggie?«
»Es ist viel zu gefährlich, Mark. Es ist Wahnsinn. Wir könnten umgebracht werden. Ich mache nicht mit, und ich lasse auch nicht zu, daß du es tust.«
»Warum ist es gefährlich?«
»Es ist einfach gefährlich. Warum, weiß ich nicht.«
»Denken Sie darüber nach, Reggie. Wir stellen fest, ob die Leiche da ist, okay? Und wenn sie nicht da ist, wo Romey es gesagt hat, dann bin ich aus der Sache raus. Wir sagen der Polizei, sie soll alles fallenlassen, was sie gegen uns hat, und dafür sage ich ihr, was ich weiß. Und da ich nicht weiß, wo die Leiche tatsächlich ist, bin ich auch für die Mafia uninteressant. Wir kommen ungeschoren davon.«
»Und was ist, wenn wir die Leiche finden?«
»Gute Frage. Überlegen Sie mal ganz langsam, Reggie. So in meinem Kindertempo. Wenn wir die Leiche finden und Sie dann die Typen vom FBI anrufen und ihnen sagen, daß Sie genau wissen, wo sie ist, weil Sie sie mit eigenen Augen gesehen haben, dann werden sie uns alles geben, was wir haben wollen.«
»Und wo genau willst du hin?«
»Wahrscheinlich nach Australien. Ein hübsches Haus, massenhaft Geld für meine Mutter. Einen neuen Wagen. Vielleicht ein bißchen plastische Chirurgie. Das habe ich einmal in einem Film gesehen. Ursprünglich war der Mann potthäßlich, und er hat ein paar Drogenhändler verpfiffen, nur um ein neues Gesicht zu bekommen. Sah aus wie ein Filmstar, als sie mit ihm fertig waren. Ungefähr zwei Jahre später haben ihm die Drogenhändler dann noch mal ein neues Gesicht verpaßt.«
»Ist das dein Ernst?«
»Mit dem Film?«
»Nein, mit Australien.«
»Vielleicht.« Er hielt inne und sah aus dem Fenster. »Vielleicht.«
Mehrere Meilen lang hörten sie Radio und schwiegen. Es herrschte nur wenig Verkehr. Sie waren schon ziemlich weit außerhalb von Memphis.
»Können wir einen Handel abschließen?«
»Was für einen?«
»Lassen Sie uns nach New Orleans fahren.«
»Ich denke nicht daran, nach einer Leiche zu graben.«
»Okay, okay. Aber lassen Sie uns dorthin fahren. Niemand rechnet damit. Über die Leiche reden wir, wenn wir dort sind.«
»Wir haben schon darüber geredet.«
»Fahren Sie einfach nach New Orleans, okay?«
Der Highway kreuzte einen anderen, und sie befanden sich auf einer Überführung. Sie deutete nach rechts. Zehn Meilen entfernt leuchtete und flackerte die Skyline von Memphis unter einem Halbmond. »Wow«, sagte er beeindruckt. »Das ist wunderschön.«
Sie konnten beide nicht wissen, daß dies sein letzter Blick auf Memphis sein sollte.
In Forrest City, Arkansas, machten sie halt,
Weitere Kostenlose Bücher