Der Klient
um zu tanken und sich etwas zu essen zu besorgen. Reggie bezahlte für kleine Napfkuchen, einen großen Becher Kaffee und eine Dose Sprite, während Mark sich auf dem Wagenboden versteckte. Minuten später waren sie wieder auf der Interstate in Richtung Little Rock.
Dampf stieg aus dem Plastikbecher auf, während sie fuhr und zusah, wie er vier von den Napfkuchen vertilgte. Er aß wie ein Kind – Krümel auf der Hose und auf dem Sitz, Schlagsahne an den Fingern, die er ableckte, als hätte er seit einem Monat nichts mehr zu essen bekommen. Es war fast halb drei. Die Straße war leer bis auf ganze Konvois von Sattelschleppern.
»Glauben Sie, daß sie schon hinter uns her sind?« fragte er, nachdem er den letzten Kuchen aufgegessen und die Sprite-Dose geöffnet hatte. Seine Stimme klang ein wenig aufgeregt.
»Das bezweifle ich. Ich bin sicher, daß die Polizei das Krankenhaus absucht. Aber wie sollte sie auf die Idee kommen, daß wir zusammen sind?«
»Ich mache mir Sorgen wegen Mom. Ich habe sie angerufen, bevor ich mit Ihnen gesprochen habe. Habe ihr von meiner Flucht erzählt und ihr gesagt, daß ich mich im Krankenhaus verstecke. Sie war stinksauer. Aber ich glaube, ich konnte sie überzeugen, daß ich in Sicherheit bin. Ich hoffe nur, sie lassen es sie nicht ausbaden.«
»Das werden sie nicht. Aber sie wird sich fürchterliche Sorgen machen.«
»Ich weiß. Ich wollte ihr nicht wehtun, aber ich glaube, sie wird damit fertig. Sie hat schon eine Menge durchgestanden. Meine Mom ist ziemlich zäh.«
»Ich werde Clint sagen, daß er sie im Laufe des Tages anrufen soll.«
»Werden Sie Clint verraten, wo wir hinfahren?«
»Ich weiß ja selbst noch nicht genau, wo wir hinfahren.«
Er dachte darüber nach, während zwei Laster vorbeidonnerten und der Honda nach rechts ausschwenkte.
»Was würden Sie tun, Reggie?«
»Zuerst einmal wäre ich nicht aus dem Gefängnis geflüchtet.«
»Das ist eine Lüge.«
»Wie bitte?«
»Natürlich ist es eine. Sie entziehen sich einer Vorladung, oder etwa nicht? Ich tue genau dasselbe. Worin liegt der Unterschied? Sie wollen nicht vor der Anklagejury erscheinen. Ich will nicht vor der Anklagejury erscheinen, und deshalb sind wir beide auf der Flucht. Wir sitzen im selben Boot, Reggie.«
»Da ist nur ein Unterschied. Du warst im Gefängnis, und du bist geflüchtet. Das ist ein Verbrechen.«
»Ich war in einem Jugendgefängnis, und Minderjährige begehen keine Verbrechen. Waren nicht Sie es, die mir das erklärt hat? Minderjährige können Rowdys sein und sich strafbar machen und unter Aufsicht gestellt werden, aber Minderjährige begehen keine Verbrechen, stimmt’s?«
»Wenn du es sagst. Aber du hättest trotzdem nicht flüchten dürfen.«
»Ich habe es getan. Daran läßt sich jetzt nichts mehr ändern. Sie dürfen doch auch nicht vor dem Gesetz flüchten, oder?«
»Doch. Es ist kein Verbrechen, sich einer Vorladung zu entziehen. Mir konnte niemand etwas vorwerfen, bis ich dich abgeholt habe.«
»Dann halten Sie an und lassen Sie mich aussteigen.«
»Klar doch. Bitte, keine Witze, Mark.«
»Das ist kein Witz.«
»Okay. Und was tust du, nachdem du ausgestiegen bist?«
»Oh, das weiß ich noch nicht. Ich laufe, so weit ich kann, und wenn man mich erwischt, dann verfalle ich einfach in Schock, und dann bringen sie mich zurück nach Memphis. Ich behaupte, ich wäre verrückt, und niemand wird je erfahren, daß Sie etwas damit zu tun hatten. Sie können jederzeit anhalten, und dann steige ich aus.« Er beugte sich vor und drehte an den Knöpfen des Radios. Fünf Meilen lang hörten sie Conway Twitty und Tammy Wynette zu.
»Ich hasse Country-Musik«, sagte sie, und er schaltete das Radio aus.
»Darf ich dich etwas fragen?« sagte sie.
»Natürlich.«
»Angenommen, wir fahren nach New Orleans und finden die Leiche. Und deinem Plan zufolge schließen wir dann einen Handel mit dem FBI ab, und du wirst in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Und dann fliegt ihr alle drei, du, Ricky und deine Mom, in den Sonnenuntergang hinein, nach Australien oder sonstwohin. Richtig?«
»Vermutlich.«
»Warum schließen wir den Handel dann nicht gleich ab und sagen, was wir wissen?«
»Jetzt fangen Sie an zu denken, Reggie«, sagte er gönnerhaft, als wäre sie endlich aufgewacht und finge an, das Licht zu sehen.
»Vielen Dank«, sagte sie.
»Ich habe eine Weile gebraucht, um mir darüber klarzuwerden. Die Antwort ist einfach. Ich traue dem FBI nicht hundertprozentig. Sie
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