Der Klient
übermäßig intelligent, und er beging den Fehler, mit Mark zu reden, als wäre er nicht elf, sondern erst fünf Jahre alt. Er beschrieb die gepolsterten Wände und verdrehte maßlos übertreibend die Augen. Er erzählte von an ihr Bett angeketteten Patienten, als dächte er sich Horrorgeschichten an einem Lagerfeuer aus. Mark hatte es gründlich satt.
Mark konnte an kaum etwas anderes denken als an Ricky und ob er seinen Daumen aus dem Mund nehmen und wieder reden würde. Er wünschte sich verzweifelt, daß das passieren würde; aber wenn er aus dem Schock herauskam, mußte er der erste sein, der mit Ricky sprach. Sie mußten miteinander reden.
Was war, wenn die Ärzte oder, Gott behüte, die Polizisten die ersten waren und Ricky die ganze Geschichte erzählte und alle wußten, daß Mark log? Was würden sie tun, wenn sie ihn beim Lügen ertappten? Vielleicht würden sie Ricky nicht glauben. Da er abgeschaltet und die Welt für eine Weile verlassen hatte, würden sie vielleicht statt dessen Mark glauben. Diese einander widersprechenden Stories waren zu gräßlich, um darüber nachzudenken.
Es ist verblüffend, wie Lügen wachsen. Du fängst an mit einer kleinen, die scheinbar ganz einfach ist, dann gerätst du in die Enge und erzählst eine weitere. Und dann noch eine. Anfangs glauben dir die Leute, und sie handeln deinen Lügen entsprechend, und du ertappst dich dabei, wie du dir wünschst, du hättest von Anfang an die Wahrheit gesagt. Er hätte den Polizisten und seiner Mutter gegenüber die Wahrheit sagen können. Er hätte in aller Ausführlichkeit über alles berichten können, was Ricky gesehen hatte. Und das Geheimnis würde trotzdem sicher sein, weil Ricky es nicht kannte.
Alles ging so schnell, daß er nicht planen konnte. Er wollte seine Mutter in einem Zimmer mit verschlossener Tür haben und sich alles von der Seele reden, einfach aufhören, bevor alles noch schlimmer wurde. Wenn er nichts unternahm, würde man ihn vielleicht ins Gefängnis stecken und Ricky in eine Irrenanstalt für Kinder.
Hardy erschien mit einem Tablett voller Pommes frites und Cheeseburgern, zwei für ihn und einen für Mark. Er stellte das Essen auf den Tisch und brachte das Tablett zurück.
Mark knabberte an einem Kartoffelstreifen. Hardy biß in einen Cheeseburger.
»Also, was ist mit deinem Gesicht passiert?« fragte Hardy zwischen zwei Bissen.
Mark rieb über die Beule und erinnerte sich, daß er bei dem Gefecht verwundet worden war. »Ach, nichts Besonderes. Nur eine Prügelei in der Schule.«
»Wer war der andere Junge?«
Verdammt. Polizisten sind unerbittlich. Eine Lüge erzählen, um eine weitere zu vertuschen. Er hatte das Lügen satt. »Sie kennen ihn nicht«, erwiderte er, dann biß er in seinen Cheeseburger. »Es könnte sein, daß ich mit ihm reden will.«
»Weshalb?«
»Hat es Ärger gegeben wegen dieser Prügelei? Ich meine, ist euer Lehrer mit euch zum Schulleiter gegangen oder etwas dergleichen?«
»Nein. Es ist nach der Schule passiert.«
»Hast du nicht gesagt, es wäre eine Prügelei in der Schule gewesen?«
»Nun, es hat in der Schule angefangen. Dieser Junge und ich sind beim Essen aneinandergeraten, und wir haben beschlossen, es nach der Schule auszutragen.«
Hardy sog heftig an dem winzigen Strohhalm in seinem Milk Shake. Er schluckte, leerte seinen Mund und sagte: »Wie heißt der andere Junge?«
»Wozu wollen Sie das wissen?«
Das machte Hardy wütend, und er hörte auf zu kauen. Mark weigerte sich, ihm in die Augen zu sehen, und beugte sich statt dessen über sein Essen und starrte auf den Ketchup.
»Ich bin Polizist. Es ist mein Job, Fragen zu stellen.«
»Muß ich sie beantworten?«
»Natürlich mußt du das. Es sei denn, du hast etwas zu verbergen und Angst davor, sie zu beantworten. Wenn das der Fall ist, muß ich mit deiner Mutter sprechen und vielleicht euch beide für weitere Fragen aufs Revier mitnehmen.«
»Was für Fragen? Was genau wollen Sie wissen?«
»Wie heißt der Junge, mit dem du dich heute geprügelt hast?« Mark knabberte eine Ewigkeit am Ende eines langen Kartoffelstreifens. Hardy griff nach dem zweiten Cheeseburger. An seinem Mundwinkel hing ein Tropfen Mayonnaise. »Ich will nicht, daß er Ärger bekommt.«
»Er wird keinen Ärger bekommen.«
»Weshalb wollen Sie dann seinen Namen wissen?«
»Ich will ihn einfach wissen. Das ist mein Job, okay?«
»Sie glauben, ich lüge, stimmt’s?« fragte Mark und schaute dabei kläglich in das vollbackige
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