Der Klient
Gesicht.
Das Kauen brach ab. »Ich weiß es nicht, Junge. Deine Geschichte ist voller Löcher.«
Mark schaute sogar noch kläglicher drein. »Ich kann mich nicht an alles erinnern. Es ist so schnell passiert. Sie wollen, daß ich Ihnen alles bis in die kleinste Einzelheit berichte, und an Einzelheiten kann ich mich einfach nicht erinnern.«
Hardy stopfte sich einen Packen Pommes frites in den Mund. »Iß auf. Wir sollten wieder hinaufgehen.«
»Danke für das Essen.«
Ricky lag in einem Einzelzimmer im neunten Stock. Ein großes Schild über dem Fahrstuhl kennzeichnete ihn als PSYCHIATRISCHE ABTEILUNG, und hier war es wesentlich stiller. Die Beleuchtung war schwächer, die Stimmen waren leiser, die Bewegungen der Leute langsamer. Das Schwesternzimmer lag neben dem Fahrstuhl, und alle, die ihn verließen, wurden gemustert. Ein Wachmann flüsterte mit den Schwestern und beobachtete den Flur. An dem den Fahrstühlen entgegengesetzten Ende des Ganges, fern von den Krankenzimmern, gab es eine kleine, dunkle Sitzecke mit einem Fernseher, Getränkeautomaten, Zeitschriften und Gideon-Bibeln.
Mark und Hardy waren in dem Warteraum allein. Mark trank eine Dose Sprite, seine dritte, und schaute sich eine Wiederholung von »Hill Street Blues« im Fernsehen an, während Hardy auf der viel zu kleinen Couch unruhig vor sich hindöste. Es war fast neun, und eine halbe Stunde war vergangen, seit Dianne ihn für einen Augenblick in Rickys Zimmer mitgenommen hatte. Ricky hatte sehr klein ausgesehen unter der Decke. Der Tropf, erklärte Dianne, diente dazu, ihn zu ernähren, weil er nicht essen wollte. Sie versicherte ihm, Ricky würde bald wieder in Ordnung sein, aber Mark sah, daß sie sich Sorgen machte. Dr. Greenway würde in Kürze zurückkehren und wollte dann mit Mark sprechen.
»Hat er etwas gesagt?« hatte Mark gefragt, während er den Tropf betrachtete.
»Nein. Kein Wort.«
Sie nahm seine Hand, und sie gingen über den düsteren Flur zum Warteraum zurück. Mindestens fünfmal wäre Mark beinahe mit etwas herausgeplatzt. Sie waren an einem leeren Zimmer vorbeigekommen, nicht weit von dem von Ricky entfernt, und er hatte daran gedacht, sie hineinzuziehen und ihr alles zu sagen. Aber er hatte es nicht getan. Später, sagte er sich immer wieder. Ich erzähle es ihr später.
Hardy hatte aufgehört, Fragen zu stellen. Seine Schicht endete um zehn, und es war offensichtlich, daß er genug hatte von Mark und Ricky und dem Krankenhaus. Er wollte wieder zurück auf die Straße. Eine hübsche Schwester in einem kurzen Rock erschien und winkte Mark, ihr zu folgen. Er stand mit der Sprite-Dose von seinem Stuhl auf. Sie ergriff seine Hand, und das war irgendwie aufregend. Ihre Fingernägel waren lang und rot. Ihre Haut war glatt und gebräunt. Sie hatte blondes Haar und ein wunderschönes Lächeln. Ihr Name war Karen, und sie drückte seine Hand etwas fester als erforderlich. Sein Herz setzte einen Schlag aus.
»Dr. Greenway möchte mit dir reden«, sagte sie und beugte sich im Gehen nieder. Er roch ihr Parfüm, und es war der herrlichste Duft, den Mark sich vorstellen konnte.
Sie brachte ihn zu Rickys Zimmer, Nummer 943, und gab seine Hand frei. Die Tür war zu, also klopfte sie leise an und öffnete sie dann. Mark trat langsam ein, und Karen klopfte ihm leicht auf die Schulter. Er beobachtete, wie sie durch die halboffene Tür verschwand. Dr. Greenway trug jetzt ein weißes Hemd und eine Krawatte und darüber einen weißen Arztkittel, an dessen linker Brusttasche ein Namensschild hing. Er war ein dünner Mann mit einer runden Brille und einem schwarzen Bart und schien für diese Art von Arbeit zu jung zu sein.
»Komm herein, Mark«, sagte er, obwohl Mark bereits im Zimmer war und am Fuß von Rickys Bett stand. »Setz dich hierher.« Er deutete auf einen Plastikstuhl neben einem Klappbett unter dem Fenster. Seine Stimme war leise, fast ein Flüstern. Dianne saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Bett. Ihre Schuhe standen auf dem Boden. Sie trug Jeans und einen Pullover und betrachtete Ricky unter der Decke mit einer Kanüle im Arm. Eine Lampe auf einem Tisch neben der Badezimmertür war die einzige Beleuchtung. Die Vorhänge waren zugezogen.
Mark ließ sich auf dem Plastikstuhl nieder, und Dr. Greenway setzte sich auf die Kante des Klappbetts, kaum einen halben Meter von ihm entfernt. Er kniff die Augen zusammen, runzelte die Stirn und strahlte eine derartige Düsterkeit aus, daß Mark eine Sekunde lang glaubte, sie
Weitere Kostenlose Bücher