Der Klient
war, sich von einem Punkt zum anderen zu bewegen, ohne sich hoffnungslos zu verirren, und um einen geordneten Verkehrsfluß zu gewährleisten, hatte man eine Fülle von farbig markierten Wegweisern angebracht. Dann waren weitere Flügel angebaut worden. Die Wegweiser waren überholt, wurden aber nicht beseitigt. Jetzt trugen sie nur zur Verwirrung bei.
Mark, der das Gebäude inzwischen halbwegs kannte, verließ das Krankenhaus durch eine kleine Vorhalle, die auf die Monroe Avenue führte. Er hatte sich eine Karte der Innenstadt auf dem Umschlag des Telefonbuchs angesehen und wußte, daß Gill Teals Kanzlei ganz in der Nähe war. Sie lag im dritten Stock eines vier Blocks entfernten Gebäudes. Er ging schnell. Es war Dienstag, ein Schultag, und er wollte nicht, daß ihn jemand von der Schulbehörde beim Schwänzen erwischte. Er war der einzige Schuljunge auf der Straße und wußte, daß er fehl am Platze war.
Eine neue Strategie war im Entstehen. Was sprach dagegen, fragte er sich, während er auf den Gehsteig schaute und Blickkontakt mit den ihm entgegenkommenden Fußgängern vermied, einen anonymen Anruf bei der Polizei oder beim FBI zu machen und ihnen mitzuteilen, wo die Leiche lag? Dann wäre er nicht länger der einzige, der das Geheimnis kannte. Wenn Romey nicht gelogen hatte, würde die Leiche bald gefunden werden, und der Mörder kam ins Gefängnis.
Ohne Risiko war das nicht. Sein gestriger Anruf unter 911 war eine Katastrophe gewesen. Jedermann am anderen Ende der Leitung würfe sofort wissen, daß er nur ein Kind war. Das FBI würde das Gespräch aufzeichnen und seine Stimme analysieren. Und die Mafia war auch nicht blöde. Vielleicht war es doch keine so gute Idee. Er bog in die Third Street ein und eilte in das Sterick Building. Es war alt und sehr hoch. Das Foyer bestand aus Fliesen und Marmor. Er betrat zusammen mit einem Haufen anderer Leute den Fahrstuhl und drückte auf den Knopf für den dritten Stock. Vier weitere Knöpfe wurden gedrückt von Leuten, die gut gekleidet waren und Aktenkoffer trugen. Sie unterhielten sich, leise und mit gedämpften Stimmen, wie man es gewöhnlich in Fahrstühlen tut.
Sein Halt war der erste. Er trat auf eine kleine Diele hinaus, von der nach links, rechts und geradeaus Korridore abzweigten. Er ging nach links und streifte herum, wobei er versuchte, einen gelassenen Eindruck zu machen, als wäre das Aufsuchen von Anwälten etwas, das er schon viele Male getan hatte. Es gab eine Menge Anwälte in diesem Gebäude. Ihre Namen waren in elegante, an die Türen geschraubte Messingschilder eingraviert, und an einigen der Türen standen ziemlich lange und einschüchternde Namen: J. Winston Buckner. F. Mac-Donald Durston. I. Hampstead Crawford. Je mehr Namen Mark las, desto mehr verlangte ihn nach dem einfachen Gill Teal.
Er fand Mr. Teals Tür am Ende des Korridors, und dort war kein Messingschild. Die Worte GILL TEAL – DER ANWALT DER KLEINEN LEUTE zogen sich in großen, schwarzen Buchstaben von der Ober- bis zur Unterkante der Tür. Drei Leute warteten vor ihr auf dem Korridor.
Mark schluckte und betrat die Kanzlei. Sie war brechend voll. Der kleine Warteraum war überfüllt mit traurigen Figuren, die unter allen möglichen Verletzungen litten. Überall waren Krükken. Zwei Leute saßen in Rollstühlen. Es war kein Stuhl mehr frei, und ein armer Mann mit einer Genickstütze saß auf dem überfüllten Tisch. Sein Kopf schwankte wie der eines Neugeborenen. Eine Frau mit einem schmutzigen Gipsverband am Fuß weinte leise. Ein kleines Mädchen mit einem gräßlich verbrannten Gesicht klammerte sich an seine Mutter. Krieg hätte nicht erbarmenswürdiger sein können. Es war schlimmer als die Notaufnahme in St. Peter’s.
Mr. Teal war wirklich fleißig gewesen beim Beschaffen von Klienten. Mark wollte gerade wieder gehen, als jemand grob rief: »Was willst du hier?«
Es war eine große Frau an einem Empfangsschalter. »Du, Junge, was hast du hier zu suchen?« Ihre Stimme dröhnte durch den Raum, aber niemand nahm es zur Kenntnis. Das Leiden dauerte unvermindert an. Er trat an den Schalter und schaute in das unfreundliche, häßliche Gesicht.
»Ich würde gern Mr. Teal sprechen«, sagte er leise und schaute sich um.
»Ach, wirklich? Hast du einen Termin?« Sie griff nach einem Clipboard und betrachtete es.
»Nein, Madam.«
»Wie heißt du?«
»Äh – Mark Sway. Es handelt sich um eine Privatsache.«
»Daran zweifle ich nicht.« Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß.
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