Der Klient
»Um was für eine Verletzung geht es?«
Er dachte an den Exxon-Laster und wie begeistert Mr. Teal davon gewesen war, aber er wußte, daß er jetzt keinen Rückzieher machen konnte. »Ich – äh – ich habe keine Verletzung.«
»Dann bist du hier am falschen Ort. Wozu brauchst du einen Anwalt?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Siehst du all diese Leute hier, Junge? Sie haben alle einen Termin bei Mr. Teal. Er ist ein vielbeschäftigter Mann und nimmt nur Fälle an, bei denen es um Tod oder Verletzungen geht.«
»Okay.« Mark wich bereits zurück und dachte an das Drahtverhau von Stöcken und Krücken hinter sich.
»Und nun verschwinde und belästige jemand anderen.«
»Gut. Und wenn ich von einem Lastwagen überfahren werde, dann komme ich wieder.« Er drängte sich durch das Gemetzel hindurch und verließ schleunigst den Raum.
Er ging eine Treppe tiefer und erkundete den zweiten Stock. Noch mehr Anwälte. An einer Tür zählte er zweiundzwanzig Messingnamen. Anwälte über Anwälte. Bestimmt würde einer von diesen Typen ihm helfen. Er begegnete einigen von ihnen auf dem Flur. Sie waren zu beschäftigt, um von ihm Notiz zu nehmen.
Plötzlich tauchte ein Wachmann auf und kam langsam auf ihn zu. Mark warf einen Blick auf die nächste Tür. Auf ihr waren in kleinen Buchstaben die Worte ANWALTSKANZLEI REGGIE LOVE aufgemalt und er drehte schnell den Knopf und trat ein. Der kleine Empfangsraum war still und leer. Nicht ein einziger Klient wartete. Zwei Stühle und eine Couch umgaben einen Glastisch. Die Zeitschriften waren ordentlich ausgelegt. Von oben kam leise Musik. Auf dem Dielenfußboden lag eine hübsche Brücke. Ein junger Mann mit Krawatte, aber ohne Jackett, erhob sich von seinem Schreibtisch hinter ein paar großen Topfpflanzen und kam auf ihn zu. »Kann ich dir helfen?« fragte er freundlich.
»Ja. Ich muß mit einem Anwalt sprechen.«
»Du bist ein bißchen zu jung, um schon einen Anwalt zu brauchen, findest du nicht?«
»Das schon, aber ich habe ein paar Probleme. Sind Sie Reggie Love?«
»Nein, Reggie ist hinten. Ich bin ihr Sekretär. Wie heißt du?«
Er war ihr Sekretär. Reggie war eine Sie. »Äh – Mark Sway. Sie sind ein Sekretär?«
»Und Anwaltsgehilfe, unter anderem. Weshalb bist du nicht in der Schule?« Ein Namensschild auf dem Schreibtisch identifizierte ihn als Clint Van Hooser.
»Sie sind also kein Anwalt?«
»Nein. Reggie ist der Anwalt.«
»Dann muß ich mit Reggie sprechen.«
»Im Augenblick ist sie beschäftigt. Du kannst dich setzen.« Er deutete auf die Couch.
»Wie lange wird es dauern?« fragte Mark.
»Das weiß ich nicht.« Der Gedanke, daß dieser Junge einen Anwalt brauchte, amüsierte Clint. »Ich sage ihr, daß du hier bist. Vielleicht hat sie eine Minute Zeit für dich.«
»Es ist sehr wichtig.«
Der Junge war nervös und meinte es ernst. Sein Blick schweifte zur Tür, als wäre ihm jemand hierher gefolgt. »Bist du in Schwierigkeiten, Mark?« fragte Clint.
»Ja.«
»Was für welchen? Du mußt mir ein bißchen erzählen, sonst wird Reggie nicht mit dir reden wollen.«
»Ich soll um zwölf mit dem FBI sprechen, und ich glaube, ich brauche einen Anwalt.«
Das war gut genug. »Setz dich. Ich bin gleich wieder da.« Mark ließ sich auf einem Stuhl nieder, und sobald Clint verschwunden war, griff er zum Branchenverzeichnis und blätterte so lange, bis er die Rechtsanwälte gefunden hatte. Da war Gill Teal mit seiner ganzseitigen Reklame. Seite um Seite mit großen Anzeigen, die alle nach verletzten Leuten schrien. Fotos von vielbeschäftigten und bedeutenden Männern und Frauen, die dicke Gesetzbücher in der Hand hielten oder hinter großen Schreibtischen saßen oder aufmerksam in Telefonhörer lauschten, die sie ans Ohr geklemmt hatten. Dann halbseitige Anzeigen, danach viertelseitige. Reggie Love war nicht dabei. Was für eine Art von Anwältin war sie?
Reggie Love war eine von Tausenden im Branchenbuch von Memphis. Es konnte nicht weit her sein mit ihr, wenn das Branchenbuch so wenig von ihr hielt, und ihm schoß der Gedanke durch den Kopf, einfach wieder zu verschwinden. Aber da war Gill Teal, der Anwalt, der alle ans Ziel brachte, der Anwalt der kleinen Leute, der Star des Branchenbuchs, so berühmt, daß er im Fernsehen auftreten konnte, und er erinnerte sich an sein Wartezimmer eine Etage höher. Nein, beschloß er schnell, er würde es mit Reggie Love versuchen. Vielleicht brauchte sie Klienten. Vielleicht hatte sie mehr Zeit, ihm zu
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