Der Klient
helfen. Der Gedanke, mit einer Anwältin zu reden, gefiel ihm plötzlich, weil er einmal eine in »L. A. Law« gesehen hatte, und die hatte ein paar Polizisten die Hölle heiß gemacht. Er schlug das Branchenbuch zu und legte es wieder in den Zeitschriftenständer neben dem Stuhl. Das Büro war kühl und hübsch. Stimmen waren nicht zu hören.
Clint schloß die Tür hinter sich und steuerte über den Perserteppich auf ihren Schreibtisch zu. Reggie Love war am Telefon und hörte mehr zu, als daß sie redete. Clint legte drei Telefonnachrichten vor sie hin und gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, daß im Empfangsraum jemand auf sie wartete. Er setzte sich auf eine Ecke des Schreibtischs, bog eine Büroklammer auf und beobachtete sie.
In dem Büro gab es kein Leder. Die Wände waren mit einem hellen Blumenmuster tapeziert. Auf einer Ecke des Teppichs stand ein makelloser Schreibtisch aus Glas und Chrom. Die Stühle waren poliert, die Sitze mit burgunderfarbenem Stoff bezogen. Dies war ganz offensichtlich das Büro einer Frau. Einer Frau mit sehr viel Geschmack.
Reggie Love war zweiundfünfzig Jahre alt und praktizierte erst seit knapp fünf Jahren. Sie war mittelgroß, mit sehr kurzem, sehr grauem Haar, das in einem Pony bis fast an die Oberkante ihrer runden, schwarzen Brille reichte. Die Augen waren grün, und sie funkelten Clint an, als hätte sie gerade etwas Lustiges gehört. Dann verdrehte sie sie und schüttelte den Kopf. »Bis später, Sam«, sagte sie schließlich und legte den Hörer auf.
»Ich habe einen neuen Mandanten für dich«, sagte Clint mit einem Lächeln.
»Ich brauche keine neuen Mandanten, Clint. Ich brauche Mandanten, die zahlen können. Wie heißt er?«
»Mark Sway. Er ist noch ein Kind, zehn, vielleicht zwölf Jahre alt. Und er sagt, er soll um zwölf mit dem FBI reden. Sagt, er brauche einen Anwalt.«
»Ist er allein?«
»Ja.«
»Wie ist er auf uns gekommen?«
»Keine Ahnung. Ich bin schließlich nur der Sekretär, vergiß das nicht. Ein paar Fragen mußt du schon selber stellen.«
Reggie stand auf und ging um den Schreibtisch herum. »Bring ihn herein. Und erlöse mich in einer Viertelstunde, okay? Ich habe heute vormittag eine Menge zu tun.«
»Komm mit, Mark«, sagte Clint, und Mark folgte ihm durch eine schmale Tür und einen Flur entlang. Die Tür zu ihrem Büro hatte ein Buntglasfenster und auf einer kleinen Messingtafel stand gleichfalls ANWALTSKANZLEI REGGIE LOVE. Clint öffnete die Tür und bedeutete Mark, er solle eintreten.
Das erste, was ihm an ihr auffiel, war ihr Haar. Es war grau und noch kürzer als seines; sehr kurz über den Ohren und hinten, ein bißchen dichter auf dem Scheitel, und vorn ein langer Pony. Er hatte noch nie eine Frau gesehen, die ihr graues Haar so kurz trug. Sie war nicht alt, und sie war auch nicht jung.
Sie lächelte freundlich, als sie ihn an der Tür in Empfang nahm. »Mark, ich bin Reggie Love.« Sie reichte ihm die Hand, er ergriff sie zögernd, und sie drückte fest zu und schüttelte sie kräftig. Es kam nicht oft vor, daß er einer Frau die Hand gab. Sie war weder groß noch klein, weder dick noch mager. Ihr Kleid war schlicht und schwarz, und an beiden Handgelenken trug sie schwarze und goldene Armreifen. Sie klirrten.
»Nett, Sie kennenzulernen«, sagte er schwächlich. Sie führte ihn in eine Ecke des Büros, wo zwei Sessel an einem Tisch mit Bildbänden darauf standen.
»Setz dich«, sagte sie. »Ich kann nur ein paar Minuten erübrigen.«
Mark setzte sich auf die Kante seines Sessels und war plötzlich total verängstigt. Er hatte seine Mutter angelogen. Er hatte die Polizei angelogen. Er hatte Dr. Greenway angelogen. Er war im Begriff, das FBI anzulügen. Romey war noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden tot, und er log nach links und rechts jeden an, der ihn etwas fragte. Morgen würde er bestimmt irgendeinen anderen Menschen anlügen. Vielleicht war es an der Zeit, zur Abwechslung einmal reinen Tisch zu machen. Es war manchmal unangenehm, die Wahrheit zu sagen, aber gewöhnlich war ihm hinterher wohler zumute. Aber der Gedanke, diese ganze Last bei einer Fremden abzuladen, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
»Möchtest du etwas zu trinken?«
»Nein, Madam.«
Sie schlug die Beine übereinander. »Mark Sway, richtig? Bitte nenn mich nicht Madam, okay? Ich heiße nicht Ms. Love oder so etwas, ich heiße Reggie. Ich bin alt genug, um deine Großmutter zu sein, aber du nennst mich Reggie.
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