Der Klient
Greenway sie an und rieb sich, tief in Gedanken versunken, den Bart. »Er muß seine Mutter sehen, wenn er die Augen öffnet, ist Ihnen das klar?«
»Ich bleibe hier.«
»Du, Mark, kannst ein bißchen kommen und gehen, aber es wäre besser, wenn auch du dich so viel wie möglich hier drinnen aufhalten würdest.«
Mark nickte. Der Gedanke, eine weitere Minute in diesem Zimmer verbringen zu müssen, widerstrebte ihm.
»Die ersten Momente können entscheidend sein. Er wird Angst haben, wenn er sich umsieht. Er muß seine Mutter sehen und fühlen. Nehmen Sie ihn in die Arme und beruhigen Sie ihn. Rufen Sie sofort die Schwester. Ich hinterlasse Anweisungen. Er wird sehr hungrig sein, also werden wir versuchen, etwas Essen in ihn hineinzubekommen. Die Schwester wird den Tropf entfernen, damit er sich im Zimmer frei bewegen kann. Aber das Allerwichtigste ist, daß Sie ihn in die Arme nehmen.«
»Wann, glauben Sie …«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich heute oder morgen. Genau läßt sich das nicht sagen.«
»Haben Sie schon früher solche Fälle gesehen?«
Greenway betrachtete Ricky und beschloß, die Wahrheit zu sagen. Er schüttelte den Kopf. »So schwere noch nicht. Er ist fast komatös, was ein bißchen ungewöhnlich ist. Normalerweise kommen sie nach einer Zeit der Ruhe wieder zu sich und essen.« Er brachte beinahe ein Lächeln zustande. »Aber ich mache mir keine Sorgen. Ricky kommt wieder in Ordnung. Es wird nur eine Weile dauern.«
Ricky schien das zu hören. Er grunzte und streckte sich, aber ohne die Augen zu öffnen. Sie beobachteten ihn genau, hofften auf ein Murmeln oder ein Wort. Obwohl es Mark am liebsten gewesen wäre, wenn er über den Schuß schweigen würde, bis sie allein darüber geredet hatten, wünschte er sich doch von ganzem Herzen, daß sein Bruder aufwachte und anfing, über andere Dinge zu reden. Er mochte nicht mehr mit ansehen, wie er zusammengerollt auf dem Kissen lag und an seinem verdammten Daumen lutschte.
Greenway griff in seine Tasche und zog eine Zeitung heraus. Es war die Memphis Press , die Morgenzeitung. Er legte sie aufs Bett und gab Dianne eine Karte. »Meine Praxis ist in dem Gebäude nebenan. Hier ist die Telefonnummer, für alle Fälle. Nicht vergessen, sowie er aufwacht, rufen Sie im Schwesternzimmer an, und von dort aus wird man mich sofort benachrichtigen. Okay?«
Dianne nahm die Karte und nickte. Greenway schlug die Zeitung auf Rickys Bett auf. »Haben Sie das schon gesehen?«
»Nein«, erwiderte sie.
Auf der unteren Hälfte der Titelseite war eine Schlagzeile über Romey. ANWALT AUS NEW ORLEANS BEGEHT SELBSTMORD IN NORD-MEMPHIS. Rechts unter der Schlagzeile stand ein großes Foto von W. Jerome Clifford, und links davon eine kleinere Schlagzeile – BRILLANTER STRAFVERTEIDIGER MIT VERMUTLICH ENGEN BEZIEHUNGEN ZUR MAFIA. Das Wort »Mafia« sprang Mark entgegen. Er starrte auf Romeys Gesicht, und plötzlich hatte er das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
Greenway beugte sich vor und senkte die Stimme. »Allem Anschein nach war Mr. Clifford ein in New Orleans recht bekannter Anwalt. Er hatte mit dem Fall um die Ermordung von Senator Boyette zu tun. Offenbar war er der Anwalt des Mannes, den man des Mordes angeklagt hat. Wissen Sie etwas über die Sache?«
Dianne steckte die unangezündete Zigarette in den Mund und schüttelte den Kopf.
»Nun, es ist ein großer Fall. Der erste US-Senator, der im Amt ermordet wurde. Sie können das hier lesen, wenn ich fort bin. Unten sind Polizisten und Leute vom FBI. Sie warteten schon, als ich vor einer Stunde kam.« Mark umklammerte das Gitter am Fuß des Bettes. »Sie möchten mit Mark reden, und natürlich wollen sie Sie dabeihaben.«
»Warum?« fragte sie.
Greenway schaute auf die Uhr. »Der Boyette-Fall ist kompliziert. Ich nehme an, Sie verstehen mehr, wenn Sie die Story hier gelesen haben. Ich habe ihnen gesagt, Sie und Mark könnten erst mit ihnen sprechen, wenn ich es erlaube. Sind Sie damit einverstanden?«
»Ja«, platzte Mark heraus. »Ich will nicht mit ihnen reden.« Dianne und Greenway sahen ihn an. »Wenn diese Polizisten ständig auf mir rumhacken, liege ich vielleicht bald genau so da wie Ricky.« Aus irgendeinem Grund hatte Mark gewußt, daß die Polizei wiederkommen würde, mit einer Menge Fragen. Sie war noch nicht fertig mit ihm. Aber das Foto auf der Titelseite der Zeitung und die Erwähnung des FBI jagten ihm plötzlich einen Schauder über den Rücken, und er mußte sich hinsetzen.
»Halten
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