Der Knochenbrecher
fünfhundert Wörter lang. Garcia hatte recht, er war verdächtig kurz und darüber hinaus auch noch sehr vage. Bis auf die Namen des Täters und der Opfer wurden keinerlei Einzelheiten genannt. Die Opfer waren Emily und Andrew Harper â Mutter und Sohn â sowie Emilys Liebhaber Nathan Gardner. Emilys Ehemann, Ray Harper, hatte alle drei umgebracht, bevor er sich im ehelichen Schlafzimmer selbst das Leben genommen hatte. Es gab zwei Fotos. Das gröÃere der beiden zeigte ein zweigeschossiges weiÃes Haus mit einem makellos gepflegten Rasen davor. Es war komplett mit Flatterband abgesperrt, auf der StraÃe davor parkten drei Streifenwagen. Das zweite Bild zeigte zwei County Sheriff Deputies, die mit einem schwarzen Polyäthylen-Leichensack aus der Haustür kamen. Ihre Gesichter erzählten eine ganz eigene Geschichte.
»Ist das der einzige Artikel?«, fragte Hunter. »Keine Folgeberichterstattung?«
Garcia schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe schon nachgesehen. Es gibt keine weiteren Artikel über den Fall Harper. Was ich ebenfalls ziemlich seltsam finde.«
Hunter scrollte nach oben und las den Namen der Zeitung â The Healdsburg Tribune . Dann sah er unten auf der Seite nach, wer den Artikel verfasst hatte. Der Reporter hieà Stephen Anderson. Adresse und Telefonnummer der Redaktion waren rasch ermittelt.
Das Telefon klingelte eine halbe Minute lang, bevor jemand abhob. Der Mann am anderen Ende klang blutjung. Er teilte Hunter mit, dass er noch nie von einem Reporter namens Stephen Anderson gehört habe, allerdings arbeite er auch erst seit einem halben Jahr für die Zeitung â als Trainee neben seinem Studium an der Sonoma University. Nachdem er sich bei seinen Kollegen umgehört hatte, kehrte der junge Mann ans Telefon zurück und berichtete, dass Mr Anderson einem der älteren Mitarbeiter zufolge neun Jahre zuvor in den Ruhestand gegangen sei. Er lebe aber nach wie vor in Healdsburg.
Hunter legte auf und wählte die Nummer der TelefonÂauskunft für Sonoma County. Es gab keinen Telefonbucheintrag für Stephen Anderson. Als Nächstes rief er in der Einsatzzentrale an. Keine fünf Minuten später lagen ihm Andersons Kontaktdaten vor.
86
Es war kurz nach acht Uhr abends, als Stephen Anderson im Arbeitszimmer seines Hauses am Ortsrand von Healdsburg ans Telefon ging. Hunter stellte sich vor.
»Polizei von Los Angeles?«, fragte Anderson beunruhigt. Seine Stimme war heiser, was allerdings â so Hunters Vermutung â wohl eher auf jahrelanges Kettenrauchen als auf seinen rauen Charme zurückzuführen war. »Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht verwählt haben, Detective?«
»Ganz sicher«, sagte Hunter und machte Garcia ein Zeichen, damit dieser auf seinem Apparat mithörte.
»Und worum geht es, wenn ich fragen darf?«
»Wir sind im Zuge einer Ermittlung auf einen Artikel gestoÃen, den Sie vor zwanzig Jahren geschrieben haben. Leider ist er sehr kurz, daher habe ich mich gefragt, ob Sie uns vielleicht noch ein wenig mehr über die Sache erzählen könnten.«
Selbst durchs Telefon fühlte sich das Schweigen, das auf Hunters Bitte folgte, mehr als unbehaglich an.
»Mr Anderson, sind Sie noch da?«
»Nennen Sie mich ruhig Stephen. Ja, ich bin noch dran«, sagte er. »Vor zwanzig Jahren ⦠Das muss dann wohl die Tragödie mit den Harpers sein.«
»Ganz genau.«
Erneut ein kurzes Schweigen. »Sie sagten, Sie sind im Zuge einer Ermittlung auf meinen Artikel gestoÃen. Eine Mordermittlung, wenn ich raten darf?«
»Das stimmt.«
Hunter hörte, wie am anderen Ende mehrmals ein Feuerzeug klickte.
»Sie haben ein Mordopfer, dem Körperöffnungen zugenäht wurden?«
Jetzt war es an Hunter, zu schweigen. Anderson hatte eine schnelle Auffassungsgabe. Hunter wählte seine nächsten Worte sorgfältig.
»Möglicherweise gibt es gewisse Parallelen zwischen dem Fall Harper und einem unserer aktuellen Fälle, ja. Aber wie gesagt, in Ihrem Artikel wird nicht genau beschrieben, was damals passiert ist.«
»Und diese Parallelen sind zugenähte Körperöffnungen?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Kommen Sie, Detective. Ich war fünfunddreiÃig Jahre lang Reporter. Ich weià genau, dass die Parallelen, von denen Sie hier sprechen, sich nicht bloà auf einen stinknormalen Mitnahmesuizid
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