Der Knochenbrecher
Âwenig das war, sie hatten stets ein Lächeln für ihren Sohn übrig.
Am Sonntag, wenn sein Vater von der Arbeit zurück war, gingen sie immer an den Strand. Meistens kamen sie erst an, wenn alle anderen bereits ihre Sachen zusammenpackten und sich auf den Heimweg machten. Manchmal war sogar schon die Sonne untergegangen, aber das machte ÂRobert nichts aus, im Gegenteil: Es gefiel ihm sogar besser so. So hatte er das Gefühl, als gehöre der ganze Strand nur ihm und seinen Eltern. Auch nach dem Tod der Mutter nahm sein Vater ihn nach wie vor jeden Sonntag mit zum Strand. Manchmal beobachtete Robert ihn dabei, wie er sich die Tränen aus den Augen wischte, während er auf die Wellen blickte.
Es wimmelte von Touristen, vor allem an der Third Street Promenade und in den zahlreichen Strandbars. Ein Junge sauste auf Rollerblades an ihm vorbei, dicht gefolgt von einem jüngeren Mädchen, das offenbar noch Probleme mit der richtigen Technik hatte.
»Tim, nicht so schnell!«, rief sie dem Jungen hinterher, doch der schaute sich nicht einmal um.
Hunter saà eine Zeitlang im Sand, sah den Wellen zu und atmete die Seeluft ein. Weit drauÃen sah er eine Gruppe Nachtsurfer. Es waren insgesamt fünf, unter ihnen zwei Frauen. Sie schienen ihren Spaà zu haben. Unten am Wasser übte ein Junge FuÃballtricks. Hunter war beeindruckt von seiner Geschicklichkeit. Ein Pärchen schlenderte Hand in Hand an ihm vorüber und nickte ihm freundlich zu. Hunter erwiderte den GruÃ. Er sah ihnen nach, und einen Augenblick lang verlor er sich in einer Erinnerung. Nur sehr wenige Menschen wussten davon, aber auch er war einmal verliebt gewesen, vor langer Zeit.
Unwillkürlich verzogen sich seine Lippen zu einem wehmütigen Lächeln, das jedoch jäh wieder verschwand, als die Erinnerung weiterging. Stattdessen tat sich in seinem Magen ein gähnendes Loch auf, und eine einzelne Träne formte sich in seinem Augenwinkel. Erst das Klingeln seines Handys holte ihn in die Realität zurück. Die Nummer des Anrufers war unterdrückt.
»Detective Hunter.«
»Bruder, was geht?«, meldete sich D-King in seinem gedehnten Singsang. Im Hintergrund dröhnte Hip-Hop-Musik.
»Nicht viel«, sagte Hunter.
D-King war niemand, der lange Reden schwang. »Sorry, Bruder, aber auf der StraÃe hört man nichts, wenn Sie wissen, was ich meine. Die Chicanos, die Jamaikaner, die Russen, die Chinesen, die Italiener, wer auch immer ⦠keiner weià was von einem zugenähten Mädchen. Kein Gangmord, zumindest warâs keine der bekannten Gangs.«
»Ja, das ist mir in der Zwischenzeit auch klargeworden.«
»Haben Sie denn rausgefunden, wer sie ist?«
»Hm.«
D-King wartete, aber Hunter sagte nichts weiter.
»Lassen Sie mich raten: Sie war keine Professionelle.«
»Stimmt.«
»Habâs Ihnen doch gleich gesagt, Bruder. Sonst hätte ichâs gewusst.« Eine kurze Pause folgte. »Also, ich muss jetzt Schluss machen, aber ich hör mich weiter um. Wenn ich was aufschnappe, klingel ich Sie an.«
Hunter beendete die Verbindung und rieb sich den Sand von den Händen, bevor er seine Jacke nahm, aufstand und zum Wagen zurückging. Die Bars leerten sich allmählich, und einen Moment lang spielte Hunter mit dem Gedanken, irgendwo noch etwas trinken zu gehen. Ein Single Malt wäre ihm jetzt gerade recht gekommen ⦠oder auch fünf. Vielleicht würde das in seinem Kopf für Klarheit sorgen.
Das laute Lachen einer Frau an einem der vielen Tische im AuÃenbereich erregte Hunters Aufmerksamkeit. Sie war attraktiv, hatte kurze braune Haare und ein umwerfendes Lächeln. Ihre Blicke trafen sich flüchtig, und dabei fiel ihm ein, dass Kelly Jensens Wohnung in Santa Monica lag. Bis zu ihrem Atelier war es auch nicht weit, Culver City war quasi der Nachbarbezirk von Santa Monica.
In der Akte von der Vermisstenstelle stand, dass der Âermittelnde Detective sowohl Wohnung als auch Atelier durchsucht, jedoch keinerlei verwertbare Hinweise gefunden hatte. Er ging davon aus, dass Kelly Jensen von ihrer Privatadresse entführt worden war, und zwar auf dem Weg vom Auto zur Wohnung. Allerdings gab es weder Zeugen noch Ãberwachungsvideos.
Hunter warf einen Blick auf die Uhr. Eigentlich hatten er und Garcia sich die Durchsuchung für den nächsten Tag vorgenommen, aber wozu warten? Er war ganz in der Nähe, und in
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