Der Knochendieb
Weg zu Lester Gallows’ Wohnwagen an der Houston Street. Sie hatten gerade erst
die Einsatzzentrale verlassen, in die Driscoll von seinem Vorgesetzten Captain Eddie Barrows zitiert worden war, damit dieser ihn herunterputzen konnte. Der Lieutenant kam auf den Prüfstand, und bald würde er in Brooklyn den Verkehr regeln, wenn er nicht schnellstens Ergebnisse vorzuweisen hätte.
»Reiß dich bloß nie darum, eine Sonderkommission zu leiten, Margaret. Wenn es nicht nach Wunsch läuft, kriegt man umgehend Daumenschrauben angelegt«, sagte Driscoll, den Blick unbeirrt auf die Straße gerichtet.
»Aber Barrows steht doch sicher selbst im Kreuzfeuer der Kritik, oder nicht?«
»Kann man wohl sagen. Er steht unter Dauerbeschuss, vom Bürgermeisteramt angefangen durch alle Abteilungen bis nach unten. Ich wette, dass noch vor Jahresende mindestens drei Leute ihren Posten räumen müssen. Ich kann nur beten, dass ich nicht einer von ihnen bin.«
»Sprich ein kleines Gebet für mich mit, ja?«
»Dir passiert nichts. Ich bin die Zielscheibe Nummer eins.«
»Dass der Bürgermeister in den Umfrageergebnissen massiv abrutscht, ist auch nicht gerade hilfreich, was?«
»Der Druck ist immer gnadenlos, wenn die Politik beteiligt ist. Aber nicht die Politiker müssen den Typen fassen, sondern wir. Irgendwann macht dieser Irre einen Fehler. Sie machen immer einen. Und dann haben wir ihn.«
»Dieses Schwein.«
»So viel zum Geschäftlichen. Und was tut sich in Margarets Welt?«
»Ich habe einen neuen Yogakurs angefangen.«
»Ehrlich?«
»Ehrlich. Das musst du auch mal probieren. Es ist toll zum Stressabbau.«
»Gibt’s das auch in Pillenform?«
»Bis jetzt noch nicht.«
»Sag mir Bescheid, wenn es so weit ist. Das Beste wären Retard-Kapseln, die den Wirkstoff langsam abgeben.«
»Im Ernst. Es würde dir nichts schaden, mal darüber nachzudenken.«
»Neben meiner Arbeit und Colette habe ich kaum Zeit für weitere Aktivitäten.«
Margaret kam sich vor, als wäre sie auf eine Landmine getreten. »Hat sich Colettes Zustand irgendwie verändert?«
»Nein.«
Driscoll hasste das Wort. Nein. Es war so endgültig. So hoffnungslos. Und doch wusste er, dass es das Wort war, das präzise beschrieb, ob seine Frau eine Chance hatte, jemals wieder das Bewusstsein zu erlangen. Nein. Verdammt noch mal! Noch mehr plagte ihn seine Unfähigkeit, irgendetwas daran zu ändern. Seine Frau fehlte ihm furchtbar; der Klang ihrer Stimme, ihr schiefes kleines Lächeln und ihr zur Seite geneigter Kopf, wenn sie ihn verführen wollte. Mein Gott, die Antwort nein konnte er sich auch auf die Frage geben, ob er seit dem Unfall seiner Frau je wieder Sex gehabt hatte. Ein Abend in der Woche davor war ihm in Erinnerung geblieben, als wäre es erst ein paar Tage her. Er hatte von zwölf bis acht gearbeitet und auf dem Nachhauseweg kurz bei Hudson’s Weinladen gehalten, um eine Flasche Mondavi Merlot zu kaufen, Colettes Lieblingswein. Der brachte sie in Stimmung, hatte sie ihm einmal erzählt. Nicole hatte bei einer Freundin übernachtet. Sie hatten Pfeffersteaks gegessen,
eine CD von Francis Albert Sinatra gehört und das Esszimmer mit dem Schlafzimmer vertauscht, wo sie sich leidenschaftlich liebten, während die Stimme von Old Blue Eyes ihnen auf Samtpfötchen nachschlich und ihr Liebesspiel verzauberte. Nach ausgedehntem zärtlichem Geflüster waren sie eng umarmt eingeschlafen. Als Driscoll aufwachte, lag er allein im Bett. Der Geruch starken Kaffees wehte durch den Bungalow. Er tappte in die Küche, wo seine Frau gerade dabei war, Toast und Eier fürs Frühstück zuzubereiten. Was hätte er nicht getan, um diesen Augenblick zurückzuholen, um die Zeit zurückzudrehen, um alles wieder in Ordnung zu bringen …
Das Tröten einer Hupe holte Driscoll in die Gegenwart zurück. Der Chevy schob sich im Stau ein paar Zentimeter vorwärts. Driscoll durchbrach das Schweigen, das sich zwischen Margaret und ihm ausgebreitet hatte, um die Tür hinter seinen zerstörten Träumen zu schließen und sich in der Hoffnung, dass dies seine Verzweiflung lindern werde, wieder dem Alltag zuzuwenden.
»Ich möchte den Yogakurs ja nicht schlecht machen«, sagte er. »Bestimmt wirkt er wahre Wunder bei dir. Aber wenn ich die Zeit dafür hätte, würde ich lieber in einem Fitnessstudio trainieren.«
»Das habe ich auch schon ausprobiert. Aber da sind mir zu viele Möchtegern-Schwarzeneggers in Polyestershirts mit Schweißflecken. Stößt mich total
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