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Der Knochendieb

Der Knochendieb

Titel: Der Knochendieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas O'Callaghan
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Pfleger durch eine mit Maschendraht verstärkte Glasscheibe, die in die Mitte der Tür eingelassen war. Ein dünner, ganz in Weiß gekleideter Mann, den Colm für einen Arzt hielt, öffnete auf das Klingeln hin die Tür.
    Wortlos gab der Pfleger seine Bürde frei, und Colm kam in die Obhut dieses asketisch wirkenden Mannes. Erneut rollte die Liege weiter, diesmal innerhalb der trostlosen Abteilung. Die strengen Anweisungen aus dem Krankenhauslautsprecher wurden von den dumpfen Lauten seelisch leidender Menschen abgelöst. Aus allen Richtungen erklang der Refrain menschlichen Elends. Colm erschrak und sah seinen neu zugewiesenen Pfleger mit flehendem Blick an.
    »Es wird alles gut«, versicherte dieser fremde Aufpasser, während er die Liege herunterfuhr und Colms Fesseln löste. Er brachte Colm in einen kleinen Raum mit einem Bett und einem schlichten Stuhl daneben. Colm setzte sich auf den Stuhl und fing an zu weinen.

    Schlurfende Schritte im Flur vor Colms Büro holten ihn in die Gegenwart zurück. Es war genau 15 Uhr. Dienstschluss.
    Eilig erhob er sich und ging an seinen Schrank. In der Finsternis dieses intimen Raums hingen mehrere Kleidungsstücke ordentlich auf hölzernen Bügeln. Heute war ein lässiger Look angebracht. Er wählte ein Polohemd, eine eng geschnittene Levi’s-Jeans und ein Paar schicke, lederne Bootsschuhe. So fühlte er sich gerüstet für seine nächste Begegnung.
    Er verließ das Haus und ging unbeschwert auf den Parkplatz zu, wo er seinen Van stehen hatte. In nicht einmal einer Stunde würde er am Einkaufszentrum Kings Plaza eintreffen. Die Vorfreude machte ihm gute Laune.
     
    Colm schlenderte durch das zweistöckige Einkaufszentrum und verfolgte sein eigenes Spiegelbild in den Schaufenstern, bis er beim Croissant Shoppe anlangte. Da sah er sie, spröde und doch provokant. Nun musste er sich einfach nur wie jeder andere benehmen, der beim Einkaufsbummel eine Kaffeepause macht. Nachdem sie den Blick von ihm abgewandt hatte, ziemlich sicher, dass er nicht ihre Verabredung war, ging er um die junge Frau herum und setzte sich in ihrer Nähe in eine Ecke des Lokals, um sie zu studieren. Ihr grelles Make-up missfiel ihm. Obwohl sich ihre Brustwarzen unter dem dünnen Baumwollstoff des rückenfreien Tops abzeichneten, wirkte sie jungenhaft und hatte maskuline Beine. Von seinem Aussichtspunkt sah er ihre attraktive Gestalt in den verspiegelten Wänden des Cafés vervielfacht. Von der Vermehrung wurde ihm ganz schwindlig.
    Ihre Ungeduld trat von Minute zu Minute deutlicher
zutage. Bestimmt glaubte sie inzwischen, dass ihre Verabredung nicht mehr auftauchte.
    Eilig stolzierte sie zum Tresen, bestellte einen Cappuccino, den sie zornig schlürfte, und verbrannte sich dabei die Zunge. Sie setzte sich auf eine Bank, steckte sich eine Virginia Slims zwischen die Lippen und wollte sie gerade anzünden, als sie das RAUCHEN-VERBOTEN-Schild sah. Sie biss sich auf die Nägel und sah auf ihre Armbanduhr. Nachdem sie deren Zeitangabe mit der Anzeige der gro ßen Industrieuhr über der Kasse verglichen hatte, stürmte sie genervt aus dem Laden, den Kaffeebecher noch in der Hand. Ihr übereilter Aufbruch hatte zur Folge, dass sie etwas Cappuccino auf ihren Jeansrock verschüttete. Erbost warf sie den Becher weg und marschierte den Flur mit den Schaufenstern entlang.
    Colm war im siebten Himmel. Er hatte jede ihrer Regungen beobachtet und jede ihrer Empfindungen nachgefühlt. Nun ließ er sie nicht mehr aus den Augen.
    Sie betrat Aubrey’s Buchhandlung, doch ihre Aufmerksamkeitsspanne war minimal. Sie schlenderte von den gebundenen Büchern zu den Taschenbüchern, schlug Bücher auf und wieder zu, blätterte ein paar Seiten durch und stellte jeden Titel wieder ins Regal, ehe sie das Ganze von vorn begann.
    Ein junges Mädchen rief ihren Namen. »Clarissa!«
    Ein Lächeln legte sich auf die Miene seiner Erwählten.
    Wer war diese andere? Eine Freundin? Eine Mitschülerin? Eine Geliebte womöglich? Auf jeden Fall gehörte sie nicht zu seinem Plan.
    Gemeinsam mit der anderen verließ Clarissa die Buchhandlung. Ihr Lachen hallte unter der Glaskuppel des Einkaufszentrums wider. Die beiden gingen den Gang
entlang und verschwanden schnell bei Sweet Delights, einem Süßwarenladen. Colm folgte ihnen.
    Die Auswahl an Bonbons, deren Formen und Farben, die Düfte von Lakritze, Vanille und Früchten berauschten ihn. Sweets for the Sweet, dachte er. Er füllte zwei goldfarbene Geschenkboxen mit zuckerglänzenden

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