Der Knochendieb
als die Uhr mit einem Glockenschlag die volle Stunde verkündete, durchbrach der Summer am Außentor Colms Verzückung. Er hatte schon wieder Besuch. Verwirrt sah er das Mädchen an.
»Du liebe Zeit«, sagte die Kleine. »Das muss meine Mom sein.«
21. KAPITEL
Alles in allem war es kein schlechter Tag gewesen. Goulee hatte genug Kupfer- und Messingrohre für zwei große Flaschen Thunderbird gesammelt. Trotzdem ärgerte es ihn tierisch, dass er die Ausbeute mit dem Vormann des Müllmännertrupps teilen musste. Schließlich war er es, der in dem ganzen Dreck herumgekrochen war.
»Mach schon, Goulee, heute ist mein Glückstag, und du musst jetzt los«, bellte der Vormann vom Fuß des Müllbergs.
»Was laberst du denn da, Henshaw, es kann doch noch nicht halb vier sein«, brüllte Goulee zurück, während er an etwas zerrte, das wie das dünne Ende einer Angelrute aussah.
»Du brauchst gar nicht auf die Uhr zu schauen, du Idiot. Komm jetzt hier runter. Sofort!«
Goulee zerrte ein letztes Mal an der Fiberglasrute, ehe er frustriert die Hände in die Höhe warf. »Einen Moment noch.« Er zückte eine Farbspraydose und zeichnete einen Kreis um die Stelle mit der Angelrute, damit er seine Suche beim nächsten Besuch fortsetzen konnte. Allerdings nur, wenn die Müllwagen nicht noch mehr Abfälle auf seinen Fund kippten. Die Müllhalde war riesig. Seine Chancen standen gut.
»Komm schon, du Trottel. Beweg dich!« Henshaws Glückstag hieß, dass seine Freundin, die als Bedienung arbeitete, heute früher Schluss hatte und er ein bisschen Matratzengymnastik mit ihr treiben konnte, ehe ihr Mann nach Hause kam.
»Ich komm ja schon. Krieg nicht gleich die Krise!«, brüllte Goulee, während er missmutig über die Müllberge stieg.
Dass er nur fünf Zehen sein Eigen nannte, die allesamt am linken Fuß saßen, machte seine Schritte unsicher. Daher suchte er nach festem Boden. Er balancierte auf einem schmalen Stück Rigips, das jedoch sein Gewicht nicht hielt, sodass er ausrutschte und hinfiel. Eine Mülllawine kam herabgesaust und begrub Henshaw unter sich, doch Goulee hatte Glück gehabt. Er war auf etwas Weichem, Gallertartigem gelandet, das aus einer Plastikmülltüte gequollen war.
22. KAPITEL
Der Gestank aus Goulees Fund ließ Larry Pearsol und Driscoll würgen.
»Grundgütiger!«, keuchte Driscoll.
Das Grauen lag grell von Jasper Eliots Kamerablitz beleuchtet vor ihnen. Der Lichtstrahl fiel auf eine knochenlose Gewebehülle mit blutverschmierten Knorpeln, zwischen denen es von Maden wimmelte.
»Das sieht ja aus, als hätte man sie durch einen Mixer gejagt. Man kann kaum sagen, ob es ein Mensch ist«, murmelte Pearsol.
»Was ist das für eine Erhebung?« Driscoll wies auf eine Schwellung in der Mitte des blutigen Matschhaufens.
»Eine Fäulnisblase. Kommt von der Fermentierung.« Driscoll nahm sich eine Chirurgenzange und griff damit nach der blutigen Beule.
»Du lieber Gott! Das ist ein Fötus!«, rief Driscoll. »Und was ist das da in der Mitte?«
Mit einer zweiten, kleineren Zange schälte Pearsol eine Plastikkarte heraus.
Driscoll wischte sie ab und las, was darauf stand:
MIT BESTEN EMPFEHLUNGEN VON
SAKS FIFTH AVENUE
FÜR UNSERE VIP-KUNDIN AMELIA STOCKARD
KUNDENKONTO-NR. 2476-3876-1204
Ein Blitz jagte den nächsten, während Jasper Eliot, der eifrige Sektionsassistent, den Fund mit seiner Hochgeschwindigkeitskamera verfolgte.
»Amelia Stockard? Der Name kommt mir bekannt vor«, sagte Larry Pearsol.
»Kein Wunder«, bestätigte Driscoll. »Das ist die Magnolia-Tee-Erbin. Über fünfzig Millionen Dollar schwer.«
»Sie war schwanger. Also ist ein Mann im Spiel. Könnte euer flüchtiger Täter sein.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Um das herauszufinden, müssen wir ihn erst fassen. Aber eines steht fest.«
»Und das wäre?«
»Die New York Post und die Daily News können einpacken. Dieser Mord wird international Schlagzeilen machen.«
»Damit wird der Druck noch schlimmer.«
»Und zwar im Handumdrehen.«
Driscoll zückte sein Mobiltelefon und wählte eine Nummer. Cedric Thomlinson meldete sich am anderen Ende und sprudelte los: »Lieutenant, hier geht es zu wie im Tollhaus. Zeitungsreporter und Fernsehteams kampieren vor dem Gebäude. Santangelo hat schon viermal angerufen. Er will wissen, was für Fortschritte wir in dem Fall gemacht haben.«
»Tja, dann wird ihm die neueste Entwicklung nicht gefallen. Unser jüngstes Opfer ist Amelia Stockard.«
»Heilige Scheiße! Dann war das, was
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