Der Knochendieb
haben herumgeknutscht.«
»Sie hat aufgehört zu atmen. Ich flirte in der Gegend herum, und sie hört auf zu atmen.«
»Nicht auszudenken, wie Sie sich fühlen würden, wenn Sie mit Ihrer Kollegin Sex gehabt hätten.«
Driscoll musterte seine Therapeutin. »Jetzt gehen aber wirklich die Pferde mit Ihnen durch.«
»Wollen Sie behaupten, dass Sie die Botschaft darin nicht erkennen?«
»Es geht also um Schuldgefühle?«
»Irisch-katholische Schuldgefühle.«
Driscoll ließ sich auf den Stuhl zurücksinken. »Langsam höre ich mich wahrscheinlich an wie eine Platte mit einem Sprung, aber ich glaube, Sie haben immer noch nicht verstanden, wie sehr ich meine Frau vermisse. Sie war meine erste Liebe, wissen Sie, die erste Frau in meinem Leben. Ich habe sie angebetet. Alles an ihr. Ich trage sie ständig in Gedanken bei mir. Zum Beispiel hat neulich das Telefon geklingelt, und eine Frau mit französischem Akzent hat nach einem Mann namens Claude gefragt. Falsch verbunden. Sie klang genau wie Colette. Ich habe aufgelegt und geweint. Dann ist mir eingefallen, dass sie gar nicht tot ist. Sie ist ja nebenan.« Seine Augen wurden feucht. »Wie wir ja anfangs schon besprochen haben, bin ich gleichzeitig verheiratet und nicht verheiratet. Ich habe Colette zu Hause, aber ich lebe allein. Ich sehe sie jeden Tag, aber sie sieht mich nicht. Sie merkt nicht einmal, dass ich da bin! Wir wissen beide, dass das kein Grund für eine Annullierung ist. Nicht für einen Katholiken. Ich bin lebenslänglich verheiratet. Dass mir das gefällt, kann ich nicht behaupten. Kann ich irgendetwas dagegen tun? Fehlanzeige. Meine Zukunftsaussichten bestehen aus einem einsamen Tag nach dem
anderen. Eine Zukunft mit Margaret ist jedenfalls ausgeschlossen.«
»Es gibt ja nicht einmal eine Gegenwart. Erzählen Sie mir mehr über diese Frau.«
»Sie ist schön.«
»Und Sie sind ein gut aussehender Mann. Das erklärt die körperliche Anziehung. Aber erzählen Sie weiter. Wie ist sie?«
»Sie stammt aus einer italienisch-amerikanischen Familie. Ihr Vater, dieses Schwein, war Polizist. Sie ist in seine Fußstapfen getreten.«
»Warum bezeichnen Sie ihn als Schwein?«
Driscoll senkte den Blick. »Margaret hatte nicht gerade eine glückliche Kindheit.«
»Wer hatte die schon? Erzählen Sie mir von Margarets Kindheit.«
Driscoll bekam ein schlechtes Gewissen. Sollte er etwas weitergeben, was ihm Margaret bei ein paar Bier unter vier Augen anvertraut hatte? Er musterte Dr. Fahey. Mein Gott, sie war schließlich seine Therapeutin.
»Sie ist als Kind sexuell missbraucht worden.«
»Von wem? Von ihrem Vater?«
Driscoll nickte. »Als Margaret siebzehn war, hat sich dieser Drecksack einen Vollrausch angetrunken und sich mit seinem Dienstrevolver den Schädel weggeblasen. Wenn Sie mich fragen, hat er genau das Richtige getan.«
»Nun, das erklärt so einiges. Macht sie eine Therapie?«
»Sie hat als Teenager eine gemacht, aber irgendwann aufgehört, glaube ich.«
»Die menschliche Seele verfügt über viele Schutzmechanismen. Opfer wie Margaret sind häufig imstande,
die Erinnerung an ihren Missbrauch auszublenden oder zumindest die Erinnerung an das, was sie damals empfunden haben. Aber was sie sicher zurückbehalten hat, ist eine Angststörung, verbunden mit gleichzeitigen Gefühlen von Zuneigung sowie Argwohn gegenüber Männern, natürlich auf einer unbewussten Ebene. Dass ihr Vater sich umgebracht hat, ist auch nicht gerade günstig, weil es zu Verlassenheitsgefühlen führt. Wie lange arbeiten Sie schon mit ihr zusammen?«
»Vier Jahre.«
»Ich wette, es ist das erste Mal, dass Sie gemeinsam Jagd auf einen Serienmörder machen, dessen Opfer Frauen sind.«
»Stimmt.«
»Ob sie nun ihre Gefühle verdrängen oder nicht, Inzestopfer erholen sich nie ganz. Je jünger sie waren, desto massiver ist das psychische Trauma. Ein Trauma, das unbewusst jede ihrer Handlungen beeinflusst. Auch im Erwachsenenalter. Wahrscheinlich ist sie deshalb Polizistin geworden.«
»Und was hat dieser Serienmörder damit zu tun?«
»Es ist ja kein gewöhnlicher Serienmörder. Er erschießt seine Opfer nicht einfach. Er entbeint und zerlegt sie. Das ist eine sehr intime Mordmethode. Das intime Schlachten von Frauen. Ganz ähnlich wie Margarets eigene intime ›Schlachtung‹.«
»Sie meinen also, es gibt einen Zusammenhang.«
»Auf jeden Fall. Sie durchlebt ihre eigene Zerstörung an jedem Tatort neu. Was unbewusst in ihr aufwallt, ist Furcht. Kindliche Furcht.
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