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Der Knochendieb

Der Knochendieb

Titel: Der Knochendieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas O'Callaghan
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Vergessen Sie nicht, deshalb ist sie Polizistin geworden. Für Margaret, die verängstigte Polizistin, repräsentieren Sie den Ritter, der ausgezogen
ist, um den Drachen zu töten, nämlich diesen Frauenschlächter. Und damit würden Sie ihre eigene Schändung rächen.«
    »Sie fühlt sich also durch ihre Angst zu mir hingezogen?«
    »Sie sind der Ausweg aus ihrem Albtraum. In Ihnen sieht sie eine Vaterimago.«
    »Sie meinen eine Art Ersatz-Vaterfigur?«
    »Nein. Eine Imago. Das ist ein klinischer Fachbegriff. Sagen wir einfach, das kleine Mädchen Margaret sucht bei Ihnen Schutz - das alles natürlich auf unbewusster Ebene. Margaret, die Erwachsene, übersetzt dieses dringende Bedürfnis dann in etwas anderes. Etwas Erwachseneres - nämlich eine Beziehung. Denn das ist es, was zwei Erwachsene haben, wenn sie sich zueinander hingezogen fühlen, aus welchen Gründen auch immer. So kann sie in ihrem bewussten Denken ihre Gefühle für Sie akzeptieren.«
    »Dann sind ihre Gefühle also nicht real.«
    »Sie sind so real wie diese vier Wände, aber sie gehen auf ihre Kindheit zurück. Auf ihre unbewussten Ur ängste.«
    Driscolls Augen weiteten sich, doch dann schüttelte er den Kopf. »Vermutlich haben Sie Recht, Elizabeth. Ich arbeite seit vier Jahren mit ihr zusammen, aber erst seit Beginn dieser Fahndung zeigt sie Interesse an mir.«
    »Sie kann nicht anders. Es ist eine Form des Selbsterhaltungstriebs, der tief in ihrer Seele verwurzelt ist.«
    »Also sucht das Kind in ihr bei mir Schutz, und die Erwachsene sucht nach einer Beziehung.«
    »Genau.«
    »Aber ich bin verheiratet!«

    »Darauf pochen Sie immer wieder gern, was? Sagen Sie mal - glauben Sie im Ernst, Colette würde wollen, dass Sie den Rest Ihres Lebens allein verbringen?«
    Driscoll sah Dr. Fahey flehend an. Er hatte regelmäßig das Gefühl, etwas Falsches zu tun, wenn er aufgefordert wurde, sich zu überlegen, was Colette gewollt hätte.
    »An dem Abend neulich hat Margaret diesen Johnny-Mathis-Song aufgelegt - ›Chances Are‹. Ob sie mir damit etwas sagen wollte?«
    »Sie sind doch der Detective. Was glauben Sie?«
    »Schon möglich.«
    »Schon möglich? Muss sie erst mit einer karierten Fahne wedeln?«
    »Aber ich dürfte eigentlich nicht mal am Rennen teilnehmen.«
    »Sie oder der irisch-katholische Ministrant, der in Ihnen lebt?«
    »Ach, kommen Sie.«
    Dr. Fahey summte »Chances Are«.
    Driscoll verschränkte die Arme, als hätte er eine Entscheidung getroffen. »Karierte Flagge hin oder her - Margaret wird schwer enttäuscht sein.«
    »Ist sie das nicht jetzt schon?«
    Driscoll seufzte schwer. »Wissen Sie, Elizabeth, ich kann das nur Ihnen gegenüber zugeben, aber manchmal wünschte ich, Colette wäre bei diesem schrecklichen Unfall umgekommen. Bin ich deswegen ein schlechter Mensch?«
    »Nein, John. Sie sind einfach ein Mensch.«
    Driscoll spielte mit seinem Ehering und dachte daran, wie er ihn als Henkersschlinge gesehen hatte. Er musste sich eingestehen, dass seine Gefühle für Margaret ebenso
real waren wie seine Gefühle für Colette. Dieser Tatsache konnte er nicht ausweichen. Freilich waren die Gefühle unterschiedlich. Mann, es waren ja auch unterschiedliche Frauen. Selbst wenn er es sich noch so sehr wünschte, er konnte die Zeiger nicht zurückdrehen. Er hatte eine Grenze überschritten, indem er seine Gefühle ausgelebt hatte. Gehörte er deswegen etwa an den Galgen? Er hatte doch lediglich eine andere Frau geküsst. Doch es war nicht nur irgendeine Frau, sondern eine Frau, für die er eindeutig etwas empfand, obwohl er noch mit Colette verheiratet war. Natürlich hatte Elizabeth Recht. Es hing eindeutig mit Schuldgefühlen zusammen.
    »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gern das Thema wechseln«, sagte er.
    »Hat es etwas mit dem Fall zu tun, an dem Sie gerade arbeiten?«
    »Jetzt haben Sie schon wieder meine Gedanken gelesen.«
    »Sie wollen die Meinung einer Therapeutin dazu hören, was den Täter antreibt. Stimmt’s?«
    »Genau. Wie ich Ihnen am Telefon schon kurz geschildert habe, zerlegt der Kerl seine Opfer und entwendet die Knochen. Was ich allerdings noch nicht erzählt habe, ist, dass er auch ihre Köpfe, Hände und Füße mitnimmt. Ich will wissen, warum.«
    »Und wie hinterlässt er die Reste der Leichen?«
    »Eine hat er an den Plankenweg am Rockaway Beach genagelt. Eine zweite haben wir in einem verlassenen Bootshaus im Prospect Park gefunden, und die dritte konnten wir aus der Mülldeponie in Canarsie

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