Der Knochendieb
muss ich Robbie abgeben.«
»Okay. Sollen wir uns in einer Stunde treffen?«
»Das könnte ich schaffen. Und wie erkenne ich Sie?«
»Ich bin der Mann, der mit einer roten Amaryllis neben seinem Glas an der Bar sitzt.«
Eine dunkle Vorahnung, gepaart mit Neugier, stieg in ihr auf. Obwohl sie nicht darum gebeten hatte, diesen Mann kennen zu lernen, war sie nun mit ihm verabredet. Sie wandte sich zu ihrem Sohn um. Der Kleine schlief. Mit einem erleichterten Seufzer begrüßte sie die Tatsache, dass er die Sehnsucht in der Stimme seiner Mutter nicht vernommen hatte.
43. KAPITEL
Die Fahrt zur Sheepshead Bay ging schleppend voran. Auf dem Belt Parkway, Höhe Ocean Avenue, war eine Baustelle. Arbeiter in Blaumännern und Helmen füllten die Schlaglöcher auf, die der Schnee des letzten Winters in den Asphalt gegraben hatte.
Sie verließ den Parkway an der Knapp Street und bog rechts auf die Emmons Avenue ein. An einer Parkuhr stellte sie den Wagen ab. Ihr Herz klopfte heftig. Sie
klappte die Sonnenblende herunter, kontrollierte ihr Make-up und holte tief Luft.
Als sie das Lobster Trap betrat, wallte ihr der Lärm von Dutzenden lebhafter Gespräche entgegen. Im ersten Moment fehlte ihr jede Orientierung, doch sie fing sich schnell und suchte den Tresen nach der auffälligen Blume ab. Nirgends war eine Amaryllis zu sehen. War sie zu früh gekommen? Die Standuhr am anderen Ende der Bar sagte etwas anderes. Vielleicht sollte sie wieder zum Wagen gehen, fünfzehn oder zwanzig Minuten warten und dann mit angemessener Verspätung an die Bar zurückkehren. Oder sollte sie sich gemütlich hinsetzen und ein Glas Chablis bestellen? War er womöglich aufgehalten worden? Vielleicht würde ein Glas Wein zumindest ihre Nerven beruhigen. Sie trat an den Tresen und bestellte.
Der Barkeeper lächelte und goss den Wein in ein langstieliges Glas. Ihr war, als würde ihre Weiblichkeit vor der ganzen Welt zur Schau gestellt. Seit acht Jahren war sie nicht mehr mit einem Mann verabredet gewesen.
Sie sah auf die Uhr. Was hatte ihn aufgehalten? Als sie auf ihrer Timex den großen Zeiger über die Zwölf wandern sah, fiel ihr etwas ein. Wie viel Zeit war eigentlich noch auf ihrer Parkuhr? Die Höchstparkdauer betrug zwei Stunden. Oder war es nur eine?
Die Handtasche unter den Arm geklemmt ging sie auf die Drehtür zu. Kaum war sie auf die Straße getreten, da sah sie ihn. Ein auffallend gut gekleideter Mann, der den Blick auf das Restaurant gerichtet hatte und eine Amaryllis in der Hand hielt.
»Hallo«, sagte sie, während ihr das Herz bis zum Hals klopfte.
44. KAPITEL
Sie starrte ihn an. Nach wie vor sprachen Schock und Verwirrung aus ihren Augen. Der Strick scheuerte an ihren geschwollenen Hand- und Fußgelenken, sodass ihre vergeblichen Versuche, sich aus den Fesseln zu befreien, die sie an den Stuhl banden, den Schmerz noch verschärften.
Colm hörte sie durch das Isolierband etwas murmeln. Zwar verstand er nichts, doch ihre Augen blitzten drohend. Wie kühn manche doch blieben, selbst wenn es aufs Ende zuging.
»Sie wären eine reizende Tischgenossin gewesen«, sagte er. »Leider hielt ich es angesichts der Umstände für das Beste, draußen zu warten. Es wäre nicht günstig gewesen, wenn man uns zusammen gesehen hätte, stimmt’s?«
Ein hasserfüllter Blick durchbohrte ihn.
»Ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Sie herauskommen würden. Gott sei Dank waren Sie allein. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn Sie in Begleitung gewesen wären.« Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich ihr gegenüber. »Ich habe dieses Ende nicht geplant, wissen Sie. Immer wieder habe ich gedacht, dass es auch okay wäre, wenn ich mir einfach den Piepser abhole und es gut sein lasse. Ich habe sogar erwogen, mein Versprechen zu halten und mit Ihnen zu Abend zu essen. Doch meine Entschlossenheit schwand, und ein altbekanntes Verlangen wurde wach … also habe ich mich hinreißen lassen. Jedenfalls können Sie ohne weiteres mit einigen meiner Lieblingstrophäen mithalten.«
In ihren erweiterten Pupillen zeichnete sich Erkenntnis ab, während sie zusehen musste, wie er gelassen zum Messer griff.
45. KAPITEL
»Okay, wir haben folgende Anhaltspunkte«, begann Margaret. Sie sprach mit fester Stimme und sah Driscoll offen an, um ihm zu signalisieren, dass sie mit ihm im Reinen war. »Deirdre McCabe war Kundin bei America Online. Bei Monique Beauford, unserer Herumtreiberin, ist nichts zu finden. Und bei der Tee-Erbin
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