Der Knochenjäger
lange er Ausschau gehalten hat, bis er einen geeigneten Kandidaten gefunden hatte. Jedenfalls hat Nummer 238 den armen Mr. Pietrs umgebracht und sein Taxi gestohlen. Ihm den Finger abgeschnitten. Er hat ihn aufbewahrt, weil er sich dächte, falls wir ihm zu nahe kämen, könnte er damit einen hübschen, deutlich sichtbaren Abdruck am Tatort hinterlassen, um uns in die Irre zu führen. Ich glaube, es hat funktioniert.«
Rhyme warf einen Blick zur Wanduhr. Noch vierzehn Minuten.
»Woher hast du das gewußt?« Dellray betrachtete die Karten an Rhymes Wand, interessierte sich aber, Gott sei Dank, nicht näher dafür.
»Der Abdruck wies gewisse Runzeln auf, die auf Flüssigkeitsverlust hindeuteten. Ich wette, die Leiche war in einem scheußlichen Zustand. Und ihr habt sie im Keller gefunden. Habe ich recht? Dort, wo unser Knabe seine Opfer mit Vorliebe versteckt.«
Dellray ging nicht darauf ein und suchte statt dessen wie ein Spürhund das Zimmer ab.
»Wo habt ihr die Beweismittel versteckt?«
»Beweismittel? Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Sagen Sie mal, haben Sie meine Tür kaputtgemacht? Letztes Mal sind Sie hier eingedrungen, ohne vorher anzuklopfen. Und jetzt treten Sie mir einfach die Tür ein.«
»Weißt du, Lincoln, ich habe mir vorhin überlegt, ob ich mich bei dir entschuldigen soll -«
»Toll von Ihnen, Fred.«
»Aber jetzt ist mir mehr danach, dich am Arsch zu kriegen.«
Rhyme schielte auf die Kopfhörer und das Mikrofon, das herunterbaumelnde Kabel. Er meinte förmlich zu hören, wie Sachs' Stimme herausschallte.
»Rück die Beweismittel raus, Rhyme. Du weißt überhaupt nicht, in was für einem schweinsdreckigen Schlamassel du drinsteckst.«
»Thom«, sagte Rhyme bedächtig. »Agent Dellray hat mich so erschreckt, daß mir der Kopfhörer meines Walkman heruntergerutscht ist. Würdest du ihn bitte an den Bettpfosten hängen?«
Der Adlatus kapierte sofort. Er hängte ihn so neben Rhymes Kopf, daß Dellray das Mikrofon nicht sehen konnte.
»Besten Dank«, sagte Rhyme zu Thom. Und fügte dann hinzu: »Weißt du, ich habe heute noch nicht gebadet. Ich glaube, es wird Zeit, meinst du nicht auch?«
»Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, wann du mich darum bitten würdest«, sagte Thom, der ein geborener Schauspieler war.
»Kommen Sie, Rhyme. Um Himmels willen. Wo sind Sie?«
Dann hörte sie eine Stimme über Kopfhörer. Thom. Er klang gestelzt, verstiegen. Irgend etwas stimmte nicht.
»Ich habe den neuen Schwamm«, sagte er.
»Sieht recht gut aus«, antwortete Rhyme.
»Rhyme?« rief Sachs. »Was, zum Teufel, ist los?«
»Hat siebzehn Dollar gekostet. Sollte also etwas taugen. Ich drehe dich jetzt um.«
Sie hörte andere Stimmen, konnte sie aber nicht erkennen.
Sachs und Banks trabten am Wasser entlang und spähten über die Kais in die graubraunen Fluten des Hudson. Sie winkte Banks zu, daß er stehenbleiben solle, beugte sich zurück, damit das Seitenstechen nachließ, und spuckte in den Fluß. Rang mühsam um Atem.
»... wird nicht lange dauern«, tönte es aus dem Kopfhörer. »Wenn Sie uns bitte entschuldigen würden, meine Herren.«
»... warten wir lieber, wenn's euch nichts ausmacht.«
»Es macht mir etwas aus«, sagte Rhyme. »Dürfte ich vielleicht um etwas Intimsphäre bitten?«
»Rhyme, können Sie mich hören?« rief Sachs verzweifelt. Was, 'zum Teufel, trieb der da?
»Nix da. Für jemand, der Beweismittel klaut, gibt's keine Intimsphäre.«
Dellray. Er war in Rhymes Zimmer. Tja, damit war die Sache gelaufen. Das Opfer war so gut wie tot.
»Ich will die Beweismittel«, brüllte der Agent.
»Nun denn, Dellray, ich kann Ihnen aber lediglich den Anblick eines Mannes bieten, der gerade gesalbt und geölt wird.«
Banks wollte etwas sagen, doch sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
Dumpfes Gemurmel, das sie nicht verstehen konnte.
Dann ein lauter, wütender Ausruf von Dellray.
Und wieder Rhymes Stimme, seelenruhig. »Wissen Sie, Dellray, ich war mal ein guter Schwimmer. Bin jeden Tag schwimmen gegangen.«
»Wir haben keine zehn Minuten mehr«, flüsterte Sachs. Ruhig schwappte das Wasser. Zwei Ausflugsboote fuhren vorbei.
Dellray grummelte irgend etwas.
»Ich bin immer drunten am Hudson schwimmen gegangen. Damals war es noch viel sauberer. Das Wasser, meine ich.«
Eine Funkstörung. Seine Stimme brach ab.
»... alten Pier. Mein Lieblingsplatz. Dort waren einst die Hudson Dusters daheim. Die berüchtigte Bande. Nie von ihnen gehört ? In den
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