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Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Titel: Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bass Jon Jefferson
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Missouri mir bis zu den Fußgelenken stand, hielt ich es für an der Zeit, mit dem Schwimmen zu beginnen.
    In diesem entscheidenden Augenblick trat die University of Tennessee an mich heran. Und die forensische Anthropologie. Meine Karriere als »Indianergrabräuber Nummer eins« war zu Ende. Jetzt sollte meine eigentliche Laufbahn beginnen: als Gerichtsmediziner.

3
    Nackte Knochen: Forensische Wissenschaft für Anfänger
    W enn eine Beziehung 40 Jahre hält, lernt man einander ziemlich gut kennen. Aber jeder nimmt auch das eine oder andere Geheimnis mit ins Grab.
    Meine langjährige Partnerin in der akademischen Lehre lernte ich zu Beginn des Herbstsemesters 1962 kennen. Ich war ein frisch gebackener Doktor und hatte zwischen meinen sommerlichen Ausgrabungsarbeiten in South Dakota einen Lehrauftrag an der University of Kansas; meine zukünftige Partnerin war ein nicht ganz frischer Leichnam, den drei Taubenjäger und ein Geflügelhund nicht weit von Leavenworth in einem Straßengraben am Missouri entdeckt hatten. Er lag in der Flussniederung - in dem Gebiet, das die Einheimischen als »da unten« bezeichneten. Der Boden, der sich dort durch gelegentliche Überschwemmungen abgelagert hatte, war weich und sandig. Der Mord hatte sich im Sommer ereignet, und das Opfer auszugraben war einfach.
    Als forensischer Anthropologe sehe ich häufig Leichen, die ihre beste Zeit hinter sich haben: aufgedunsene, geplatzte, verbrannte, von Käfern besiedelte, verweste, zersägte, abgenagte, verflüssigte, mumifizierte oder zerlegte Körper. Manche sind sogar skelettiert, nur noch Knochen - nackt, aber höchst aufschlussreich.
    Fleisch verwest, Knochen bleiben erhalten. Fleisch vergisst und vergibt frühere Verletzungen; Knochen heilt zwar ebenfalls, aber die Erinnerung bleibt: ein Sturz in der Kindheit, eine Kneipenschlägerei; der Schlag eines Pistolenknaufs auf die Schläfe, der schnelle Stich einer Messerklinge zwischen die Rippen. Die Knochen halten solche Augenblicke fest, bewahren ihre Spuren und offenbaren sie jedem, dessen geübter Blick die vielfältigen sichtbaren Indizien erkennt und das leise Flüstern der Toten versteht.
    Vor kurzem war ich im Leichenschauhaus an der medizinischen Fakultät der University of Tennessee. Dort bot sich auf einer metallenen Bahre ein herzzerreißender Anblick: das Skelett eines Säuglings, nicht mehr als drei Monate alt und so zerschmettert, wie ich es noch nie gesehen hatte. Ein Arm und ein Bein waren ebenso gebrochen wie fast jede einzelne winzige Rippe. Am entsetzlichsten aber war, dass man nicht nur diese Brüche vom Todeszeitpunkt erkennen konnte, sondern auch viele andere in verschiedenen Stadien der Heilung. Das arme Kind war praktisch vom Augenblick seiner Geburt an misshandelt worden, und doch hatte der geschundene kleine Körper immer wieder versucht, sich selbst zu helfen. Hätte er die Gelegenheit gehabt, wäre er genesen - der menschliche Organismus besitzt eine fast unglaubliche Zähigkeit. Aber ebenso unglaublich ist auch die Grausamkeit mancher Menschen. Mir tat es auf eine traurige Weise gut, als ich später las, dass die Mutter wegen Mordes angeklagt wurde und jetzt auf ihren Prozess wartet.
    Das erwachsene Verbrechensopfer, das ich an jenem Tag im Jahr 1962 untersuchte - und das zu meinem Unterrichtspartner werden sollte -, war nicht auf die nackten Knochen reduziert. Wäre das der Fall gewesen, hätte sich die Untersuchung wesentlich angenehmer gestaltet. Die sterblichen Überreste wurden in einer stinkenden Pappkiste angeliefert, die mit Bindfaden oben auf dem Kofferraumdeckel einer schwarzen Limousine befestigt war. Die beiden Beamten der Kriminalpolizei von Kansas hatten ihn dort festgebunden, weil sie den Gestank nicht in ihrem Kofferraum haben wollten. Auch die Hände wollten sie sich nicht schmutzig machen: »Den fasse ich nicht an«, sagte der eine, »das müssen Sie schon selbst machen.« Also ging ich nach draußen auf den Parkplatz, schnitt den Bindfaden durch und trug die Kiste auf den Hof des naturhistorischen Museums der Universität, wo sich auch mein Büro befand. Ich stellte sie ins Gras, hob eine Plastiktüte heraus, öffnete sie und brachte ein verwesendes Leichenteil nach dem anderen zum Vorschein.
    Um mich hatten sich mehrere besonders tapfere Anthropologiestudenten versammelt. Ein paar Stunden zuvor hatte das Herbstsemester begonnen - es war der Tag nach dem Labor Day -, und es ging an der Hochschule bereits recht lebhaft zu. Einerseits war alles

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