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Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Titel: Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bass Jon Jefferson
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Evolution von uns Männern wäre in den letzten 20 000 Jahren nicht weitergegangen, aber der Schädel eines männlichen Jetztmenschen ähnelt dem eines Neandertalers viel stärker als ein Frauenschädel aus unserer Zeit.«
    Ich hielt den Schädel in die Höhe, sodass sie ihn besser sehen (und leider auch besser riechen) konnten, und zeigte ihnen die Brauenwülste über den Augen. Ein Frauenschädel, der dort nicht so kräftig gebaut ist wie der eines Mannes, hat am Übergang zwischen Stirn und Augenhöhle eine scharfe Kante. Schließlich drehte ich den Schädel um und zeigte ihnen auf der Unterseite das Hinterhauptsbein: Dort sitzt bei Männern ein Knochenvorsprung, der als Protuberantia occipitalis externa bezeichnet wird. Bei diesem Schädel fehlte er; ein sehr männlicher Mann war es also eindeutig nicht.
    »Aber wie können wir mit Sicherheit feststellen, ob es sich um eine erwachsene Frau oder einen zwölfjährigen Jungen handelt?«, fragte ich die Studenten.
    Einer war so mutig, zu raten: »An den Zähnen?«
    »Richtig«, sagte ich. »An den Zähnen.«
    Unser rätselhaftes Verbrechensopfer besaß ein vollständiges Gebiss - 30 Zähne, darunter auch die oberen dritten Molaren (die »Weisheitszähne«), die aber im Unterkiefer fehlten. Als wir Menschen in der Evolution allmählich immer seltener an Tierknochen nagten, gingen unter anderem die dritten Molaren verloren. Bei manchen Menschen brechen die Weisheitszähne nie durch, wie ein Same, der niemals keimt. Also erklärte ich den Studenten: Wenn bei einem Schädel die dritten Molaren nicht durchgebrochen sind, muss das nicht bedeuten, dass die betreffende Person noch nicht erwachsen war. Sind sie aber vorhanden, ist es so gut wie sicher, dass der Mensch mindestens 18 Jahre alt war. In diesem Fall war ich mir ziemlich sicher, dass wir eine erwachsene Frau vor uns hatten.
    Die beste Bestätigung, so fügte ich hinzu, würde eine Untersuchung des Beckens liefern. Aber das hatten wir leider nicht.
    Das Becken eines erwachsenen Menschen ist ein kompliziert gebautes Gebilde, das aus drei verwachsenen, eigenartig geformten Knochen besteht: dem Kreuzbein am unteren Ende der Wirbelsäule und den beiden Hüftbeinen. Die Hüftbeine sind seltsam geformt: Oben sind sie breit wie die Ohren eines verärgerten Elefanten, und darunter liegen zwei Wülste mit Öffnungen, die an leere Augenhöhlen erinnern; vorn vereinigen sich zwei Knochenleisten wie schrecklich fehlgebildete Stoßzähne.
    Das Kreuzbein dient der Gewichtsverteilung: Es überträgt das Körpergewicht von einer Säule, dem Rückgrat, über das rechte und linke Hüftbein auf die beiden Säulen der Beine. Das Hüftbein ist seinerseits eine komplizierte Struktur. Es ähnelt in gewisser Hinsicht dem Gehirnschädel, der ebenfalls aus mehreren verschmolzenen Knochen besteht.
    Bis zur Pubertät kann man an jedem Hüftbein drei getrennte Knochen unterscheiden: Darmbein, Sitzbein und Schambein. Das Darmbein ist der oberste und breiteste Teil des Hüftbeins; sein Rand verbreitert sich unmittelbar unterhalb der Taille wie ein Elefantenohr. Das Sitzbein spürt man, wenn man auf einem harten Stuhl ein wenig hin und her rückt. (Manche Menschen können in diesem dicken Polster aus Fettgewebe kaum noch einen Knochen spüren, aber er ist dennoch vorhanden.) Das Schambein schließlich verläuft vorn, etwa zehn Zentimeter unter dem Nabel, quer über den Bauch.
    In der Pubertät spielen sich am Becken mehrere interessante Veränderungen ab. Bei Frauen wird das Hüftbein breiter, sodass es bei der Entbindung einen Kinderkopf durchlässt; das Schambein wird länger, wölbt sich nach vorn und bildet so die bogenförmige vordere Begrenzung des Geburtskanals.
    Das männliche Becken ist wesentlich schmaler. Hier hängen die Oberschenkelknochen mehr oder weniger senkrecht unter den Hüftbeinen, während sie bei einer erwachsenen Frau unter den Hüften ein wenig nach innen geneigt sind. Wie nicht anders zu erwarten, finden diese unterschiedlichen geometrischen Verhältnisse von Becken und Oberschenkeln ihren Ausdruck in wissenschaftlich nachweisbaren, ästhetisch angenehmen Unterschieden der Art, wie Männer und Frauen sitzen, stehen und gehen.
    Im Fall unseres kurz zuvor ausgegrabenen Mordopfers hätten wir also anhand des Beckens sehr einfach bestätigen können, dass es sich um den Schädel einer Frau handelte.
    Außerdem hätte das Becken auch nähere Aufschlüsse über das Alter der Toten geliefert. Wie die Schädelnähte, so ist auch

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