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Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Titel: Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bass Jon Jefferson
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Kiefer auch von einem Bussard oder Kojoten gestohlen werden können -, gab es nur eine zuverlässige Methode, die Knochen zu reinigen: Ich musste sie mehr als einen halben Tag lang in einem Dampftopf vor sich hin kochen lassen und dann das erweichte Gewebe mit einer Zahnbürste abschrubben (aber wohlgemerkt nicht mit meiner eigenen).
    Ann war Ernährungswissenschaftlerin. Ihre Küche und ihre Kocherei nahm sie sehr ernst. Wie ich wohl nicht ausdrücklich zu betonen brauche, war sie alles andere als begeistert, als sie beim Gestank siedenden Fleisches nach Hause kam und feststellen musste, dass in ihrem Achtlitertopf ein verwester menschlicher Schädel und ein Oberschenkel köchelten. Ähnliches hatte sie schon öfter erlebt: Ein Teil des anthropologischen Instituts der University of Kansas, darunter auch mein Büro, war im Museum für Naturgeschichte untergebracht, einem großartigen alten Gebäude, das aber als Aufbewahrungsort für alte, trockene Knochen erbaut worden war und sich nicht für die Verarbeitung frischer Exemplare mit anhängendem Gewebe eignete. Ann war selbst Wissenschaftlerin und wusste ganz genau, dass ich mit meiner Arbeit auf jede nur denkbare Weise vorankommen musste. Ehe lebt von Kompromissen, und wir hatten uns auf ein unkonventionelles, aber funktionierendes Abkommen geeinigt: Sie nahm es hin, dass ich gelegentlich ihren Herd für die Verarbeitung von Leichenteilen benutzte, aber ihre Töpfe und Pfannen waren tabu - ich musste eigene Gerätschaften mitbringen.
    Es stimmt, was man so sagt: Ein Topf, den man beobachtet, fängt nie an zu kochen. Lässt man ihn aber unbeaufsichtigt, kocht er leicht über - jedenfalls dann, wenn er mit Menschenknochen und verwesendem Fleisch gefüllt ist. Ich verließ meinen Posten am Herd gerade lange genug, um zur Toilette zu gehen; als ich zurückkam, floss ein Schaum aus Wasser, Gehirnmasse und anderen faulig riechenden Bestandteilen über den Topfrand und sickerte in alle Ritzen von Anns Herd. Er würde nie mehr so werden wie früher. Von diesem Tag an stieg jedes Mal, wenn wir eine Herdplatte oder den Ofen anschalteten, der gleiche faulige Geruch auf und zog durch die Küche. Unter Anwendung meiner unglaublichen Fähigkeit zu wissenschaftlichen Schlussfolgerungen gelangte ich sehr schnell zu der Erkenntnis, dass tägliche Erinnerungen an meinen Fehler am Herd der ehelichen Harmonie sicher nicht sonderlich zuträglich wären, und deshalb war Ann schon wenig später die stolze Besitzerin eines neuen Küchenherdes.
    Ich hatte mittlerweile die Knochen abgeschrubbt und zum Trocknen in die Sonne des frühen Septembers gelegt. Vom weichen Gewebe befreit, schimmerte der Schädel in einem glatten, elfenbeinfarbenen Glanz, auch das eine Eigenschaft negroider Schädel, deren Knochensubstanz dichter ist als bei Weißen. Die Prognathie des Mundes war jetzt, wo die Konturen nicht mehr durch weiches Gewebe verändert wurden, noch deutlicher zu erkennen. Die Nasenöffnung war breit und zeigte deutliche senkrechte »Rinnen« im Oberkiefer, ganz im Gegensatz zu dem waagerechten »Damm« an den Nasenöffnungen von Weißen. (Die breite, durch kein Hindernis eingeengte Nasenöffnung des negroiden Schädels hat sich in der Evolution entwickelt, weil sie den schnellen Luftaustausch und damit die Kühlung in heißem Klima begünstigt; bei den Weißen entwickelte sich die engere Öffnung mit dem Nasendamm, damit die kühlere europäische Luft nicht zu schnell in die Lunge strömt.)
    Jetzt wusste ich also, dass es sich um die Knochen einer farbigen Frau handelte, und ich wusste, dass sie erwachsen war. Aber war sie 18 oder 20? Um das herauszufinden, untersuchte ich die Schädelnähte.
    Den menschlichen Schädel stellt man sich meist als zusammenhängendes Knochengewölbe vor, und wenn man mit den Händen über den Kopf fährt, fühlt er sich auch an, als wäre er aus einem Stück. In Wirklichkeit ist das Schädelgewölbe aber eine komplizierte Anordnung aus sieben Einzelknochen: ein Stirnbein, zwei Scheitelbeine an Ober- und Rückseite des Schädels, zwei Schläfenbeine an den Seiten, ein Keilbein, das von der Schädelbasis bis zu den Seiten reicht, und das Hinterhauptsbein, der dicke Knochen an Rück- und Unterseite, der auf dem ersten Halswirbel ruht und den Durchgang des Rückenmarks zum Hals bildet. (Eine beschriftete Zeichnung findet sich im Anhang I, »Knochen des menschlichen Skeletts«.)
    Die Verbindungslinien zwischen den sieben Schädelknochen werden als Schädelnähte

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