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Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Titel: Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bass Jon Jefferson
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Geschwindigkeit liebte und außerdem zu jener Zeit ein Teenager war, auf gerader Strecke mitten in der Prärie auf die linke Spur geschwenkt, als der Bauer, den er überholte, gerade links abbiegen wollte. Danach war der Mustang nie mehr ganz der Alte gewesen.
    An diesem grauen Dezembermorgen saß ich am Lenkrad - nicht weil ich kein Vertrauen zu Charlies Fahrkünsten hatte, sondern weil ich häufig an Reisekrankheit leide, wenn ich den Wagen nicht selbst steuere. Auf der dreistündigen Fahrt nach Franklin unterhielten wir uns über Charlies Studium in Arizona. Walter Birkby, sein Professor im Hauptfach, war an der University of Kansas mein erster Doktorand gewesen, und deshalb wollte ich mich nicht nur über Charlies Fortschritte auf dem Laufenden halten, sondern auch über Walters Karriere. Die Kilometer rauschten schnell vorüber.
    Ungefähr gegen halb elf am Vormittag trafen wir in Franklin ein, und dann fuhren wir hinter Captain Long her zum Anwesen Two Rivers. Das 125 Jahre alte, zweistöckige Haus hatte die derzeitige Renovierung ganz offenkundig nötig, aber es war immer noch eindrucksvoll: rotes Ziegelmauerwerk, schwarze Fensterläden und auf jeder Seite ein hoher Schornstein. Im Vorgarten standen große Eichen und Ahornbäume.
    Hinter dem Haus fiel das Gelände zum Harpeth River ab; an einer leichten Steigung auf halbem Weg zwischen Haus und Fluss kennzeichnete eine Ansammlung von Grabsteinen den Friedhof der Familie Shy. Unmittelbar hinter dem Stein für Colonel Shy stand eine Eiche, direkt davor befand sich das schlammige Loch. Als wir uns dem Grab näherten, fiel mir auf, dass man den Rasen sorgfältig entfernt und beiseite gelegt hatte. Nach meiner Vermutung wollte die Person, die das Loch gegraben hatte, ihre Spuren anschließend möglichst gut verwischen, aber dann hatte irgendetwas - Hundegebell, ein plötzliches Licht auf der Veranda oder vielleicht sogar Mrs. Griffith, die ihrer Bekannten Haus und Garten zeigte - sie verscheucht.
    Das Loch war knapp einen mal einen Meter groß und ungefähr ebenso tief. Als ich hinunterblickte, erkannte ich Fleisch und Knochen. Mit Charlies Hilfe ging ich daran, die durchwühlte Erde zu beseitigen und die Leiche freizulegen. Der Boden war feucht, und das Loch war voller Schlamm. Anfangs legten wir uns auf ein Holzbrett, das wir an den Rand des Grabes gelegt hatten, griffen mit ausgestreckten Armen hinunter und schaufelten mit Maurerkellen die Erde weg. Abgesehen von Kälte und Regen, war es eine leichte Arbeit, denn der Boden war ja erst vor kurzem umgegraben worden. Als das Loch tiefer wurde, kletterte ich hinein. Wenn ich meine Ausgrabungen an Indianer-Grabstätten in den großen Ebenen mitzähle, bin ich schon in ungefähr 5000 Gräbern gewesen. Wenn ich einmal sterbe, werde ich vermutlich eine Art inoffiziellen Rekord halten: als der Körper, der in mehr Gräber als jeder andere hineinund wieder herausgekommen ist.
    Wie Captain Long mir schon am Telefon mitgeteilt hatte, befand sich die Leiche in einem Zustand der fortgeschrittenen Verwesung. Manche Gelenke waren bereits zerstört. Die Beine lagen vom Becken getrennt, und auch die Arme waren nicht mehr mit dem Rumpf verbunden. Knie und Ellenbogen waren jedoch noch intakt und genau wie der größte Teil des Rumpfes von Kleidungsstücken bedeckt. Nach dem Aussehen des schwarzen Sakkos und des gestärkten weißen Hemdes hatte ich die Vermutung, es könne sich um einen Kellner aus einem noblen Restaurant in Nashville oder Franklin handeln. Vielleicht war er aber auch Brautführer bei einer Hochzeit gewesen, und dann hatte er sich unvorsichtigerweise mit der falschen Brautjungfer eingelassen - oder sogar mit der Braut.
    Die Leiche befand sich in sitzender Position auf dem altertümlichen Sarg, den man hier 1864 bestattet hatte. Aus meinen Arbeiten an Tausenden von Grabstätten amerikanischer Ureinwohner in den großen Ebenen während der fünfziger und sechziger Jahre wusste ich, dass die Bestattung in zusammengekrümmter Haltung weniger Grabarbeit erfordert, als wenn man die Leiche waagerecht ausstreckt. Auch das war ein Indiz, dass jemand es eilig gehabt hatte, ein Verbrechen zu verbergen.
    Als wir tiefer gruben und immer größere Teile der Leiche freilegten, fiel mir oben im Deckel des alten Sarges ein Loch auf. Der Sarg bestand offensichtlich aus Gusseisen - damals, in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, gewissermaßen die Premiumqualität bei Bestattungen. Das Loch von rund 30 mal 60 Zentimetern konnte

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