Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
einen kürzeren Bereich von zwei bis sechs Monaten genannt.
Einen oder zwei Tage später beschäftigte sich ein unternehmungslustiger Reporter mit anderen Todesfällen aus jüngerer Zeit; dabei stieß er auf einen Fall in Knoxville, der einige Ähnlichkeiten erkennen ließ: Knapp zwei Monate zuvor hatte man in einem ländlichen Gebiet nicht weit von der Stadt eine männliche Leiche ohne Kopf gefunden. Gab es einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen? Handelte sich um das Werk eines Serienmörders? Ich sagte dem Journalisten, dass ich das für unwahrscheinlich hielt. Das Opfer von Knoxville war zerlegt und verstümmelt worden - der Mörder hatte Kopf und Hals abgehackt, Arme und Unterschenkel verletzt und sogar die Geschlechtsorgane abgeschnitten. An der Leiche von Franklin dagegen - oder zumindest an den Teilen, die wir besaßen - waren keine Schnittspuren zu erkennen. Entsprechend verkündete die Schlagzeile: KEIN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN DEM TORSO UND EINER ANDEREN KOPFLOSEN LEICHE.
Am 3. Januar wurde es richtig spannend: Ein Beamter der Kreispolizei von Williamson brachte uns den Schädel einschließlich des Unterkiefers. Der Leichenbeschauer und die Polizisten waren noch einmal zu dem Grab gegangen, hatten weiter gegraben und den Schädel in dem Sarg gefunden. »Nach meiner Theorie wurde er mit dem Kopf voran in das Loch gesteckt, das jemand in den Sarg des Colonel gemacht hatte«, sagte der Leichenbeschauer einem Journalisten von UPI. OFFIZIERSGRAB IMMER RÄTSELHAFTER lautete daraufhin am nächsten Tag die Schlagzeile. Der Artikel begann mit den Worten: »Nach Angaben der Behörden wurden Kopf, Füße und ein Arm einer nicht identifizierten Leiche im Grab eines Bürgerkriegsoffiziers gefunden und aus dem Sarg des Offiziers geborgen.«
Jetzt war auch die Todesursache kein Geheimnis mehr: Ein Gewehrschuss hatte mit unglaublicher Kraft ungefähr fünf Zentimeter über dem linken Auge die Stirn getroffen; die Austrittsöffnung - wenn man sie so nennen konnte - befand sich am Hinterkopf nicht weit von der Schädelbasis. Ich spreche hier von einem Schädel, aber eigentlich stimmt das nicht ganz: Das Geschoss hatte eine solche Wucht, dass es den Kopf des armen Mannes in 17 Stücke zerschmetterte. Ich musste sie zusammenkleben, um Lage und Größe von Ein- und Austrittsöffnung festzustellen. Nach dem Ausmaß der Zerstörung zu urteilen, war er vermutlich aus nächster Nähe mit einer großkalibrigen Waffe erschossen worden. Unser geheimnisvoller Mann war eines gewaltsamen, plötzlichen Todes gestorben.
Aber der Fall hatte noch einen weiteren Dreh: Im Gegensatz zum übrigen Körper war der Schädel praktisch frei von weichem Gewebe und schokoladenbraun verfärbt, ganz ähnlich wie die uralten Indianerschädel, die ich in South Dakota ausgegraben hatte. Die Zähne hatten keine Füllungen, aber zahlreiche Löcher, viele davon sehr groß; der untere linke Weisheitszahn stand im Begriff, einen Abszess auszubilden. Nichts deutete darauf hin, dass dieser elegant gekleidete junge Mann jemals seinen Fuß in das Sprechzimmer eines Zahnarztes gesetzt hatte oder auch nur ansatzweise zahnärztlich versorgt worden war - jedenfalls was moderne Zahnarzttechnik anging.
Allmählich stieg ein unangenehmer Verdacht in mir auf.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Es war ein Techniker des staatlichen kriminaltechnischen Labors in Nashville. »Dr. Bass, wir haben an den Kleidungsstücken, die Sie uns gebracht haben, einige Merkwürdigkeiten entdeckt«, sagte er. »Es sind ausschließlich Naturfasern - Baumwolle und Seide; nichts Synthetisches.« Er fügte hinzu, in den Kleidern seien keine Etiketten, die man zurückverfolgen könne, und solche seitlich geschnürten Hosenbeine habe er noch nie gesehen. Die Schuhe waren vorne breit, wie es ein paar Jahre zuvor Mode gewesen war, aber die gleiche Mode war auch schon 100 Jahre zuvor beliebt gewesen.
Auf seine letzte Frage hatte ich mit einem Anflug von Furcht schon gewartet: »Glauben Sie, es könnte sich in Wirklichkeit um die Leiche von Colonel Shy handeln?«
»Allmählich glaube ich das auch«, räumte ich ein. Ich war froh, dass er nicht sehen konnte, wie ich bei diesem peinlichen Eingeständnis rot wurde. »Ich brauche noch Antworten auf ein paar Fragen - gab es beispielsweise 1864 schon solche Gummibänder, wie wir sie in diesen Schuhen gefunden haben? Aber es sieht mehr und mehr danach aus.«
In der Philosophie gibt es einen altehrwürdigen Grundsatz, der als
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