Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
Autoschlüssel bei mir.
Am Montagmorgen brachte ich die Leichenteile in das Institut für Anthropologie unterhalb des Footballstadions und legte sie in große Töpfe mit heißem Wasser, damit das Gewebe weich wurde und sich leicht entfernen ließ. (Nach vielen Jahren und zwei neu angeschafften Herden hatte ich gelernt, dass man so etwas besser nicht zu Hause tut.) Obwohl das Skelett nicht vollständig war, würde das Sortieren und Reinigen sowie die Untersuchung der Knochen mehrere Tage in Anspruch nehmen.
Der Schädel war nicht das Einzige, was fehlte; auch die Füße und eine Hand waren nicht vorhanden. So etwas kommt bei Leichen, die man im Freien findet, häufig vor: In vielen Fällen nagen Hunde, Kojoten, Geier und Waschbären an den Leichen, und Hände und Füße können Raubtiere am einfachsten abreißen und wegtragen. In diesem Fall war ich jedoch nicht sicher, was ich davon halten sollte, denn die Leiche war ja zumindest teilweise bestattet worden. Interessanterweise hatte die noch vorhandene Hand bei der Bergung in einem weißen Handschuh gesteckt; auch das bestärkte mich in meiner Vermutung, dass es sich bei dem Opfer um den Kellner eines vornehmen Restaurants oder um den Brautführer bei einer Hochzeit handelte.
Außerdem war ich von Anfang an überzeugt, dass ich einen Mann vor mir hatte; allerdings gehörten die Geschlechtsteile zu den Bereichen, wo die Verwesung bereits ihr fortgeschrittenes Stadium erreicht hatte; um die Geschlechtszugehörigkeit zu bestätigen, musste ich mich also an das Becken und andere Eigenschaften des Skeletts halten. Die Schambeine waren kurz und scharf abgeknickt - nicht die geometrischen Verhältnisse eines Beckens, das sich für eine Schwangerschaft eignet. Unser geheimnisvoller Leichnam war eindeutig ein geheimnisvoller Mann.
Die Schlüsselbeine waren an dem Ende, wo sie am Brustbein ansetzen, völlig verwachsen; demnach war er mindestens 25 Jahre alt. An der Schambeinfuge, der Verbindungsstelle der Schambeine vorn am Bauch, war eine raue, höckerige Oberfläche zu erkennen, für mich ein Hinweis, dass er vermutlich Mitte bis Ende 20 war. Um meine eigenen Schlussfolgerungen zu überprüfen, zog ich sechs meiner Doktoranden hinzu - die Studenten kamen jetzt nach und nach aus dem Urlaub zurück - und forderte sie auf, das Alter des Mannes zu schätzen. Alle sechs legten sich auf den Bereich zwischen 26 und 29 Jahren fest.
Der Gelenkkopf am oberen Ende des Oberschenkelknochens hatte einen Durchmesser von 50 Millimetern - auch das recht typisch für einen Mann. Die Länge des linken Oberschenkelknochens vermaßen wir mit 490, die des rechten mit 492 Millimetern. Mit einer Formel, die 1958 von der Anthropologin Mildred Trotter und der Statistikerin Goldine Gleser entwickelt wurde, berechnete ich für unser Mordopfer eine Körpergröße zwischen 1,77 und 1,80 Metern - vorausgesetzt, er hätte noch einen Kopf besessen.
Bei der Reinigung und Untersuchung der Knochen fanden sich keinerlei Anhaltspunkte für die Todesursache. Da das weiche Gewebe an vielen Stellen schon stark verwest war, hätten wir Stichwunden allerdings auch nicht feststellen können; die Knochen selbst trugen keine Kerben oder sonstige Verletzungsspuren. Nach dem Ausmaß der Verwesung schätzte ich, dass seit dem Tod mindestens einige Monate vergangen sein mussten, mit Sicherheit aber lag er noch kein Jahr zurück.
Die Polizei im Kreis Williamson und in Nashville überprüfte die Vermisstenanzeigen aus dem vergangenen Jahr. Im Kreis Williamson wurde überhaupt niemand vermisst; und auf keinen der Vermissten aus Nashville passte die Beschreibung über den Körperbau der Leiche: männlich, weiß, Mitte 20 bis Anfang 30, knapp 1,80 Meter groß.
Die Lokalzeitungen, die in der Saure-Gurken-Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr hinter jeder spannenden Nachricht her waren, bekamen Wind von dem Rätsel und berichteten darüber. KOPFLOSE LEICHE BEI FRANKLIN GEFUNDEN lautete eine Schlagzeile am 1. Januar. Der Bericht wurde über die Presseagentur Associated Press verbreitet und schilderte, wie man die Leiche in sitzender Haltung auf dem Sarg von Colonel Shy gefunden hatte. Außerdem beschrieb er »Smokinghemd, Weste und Jackett«, und auch meine Schätzung des Todeszeitpunktes wurde zitiert. Ich hatte gesagt: »Anscheinend ist der Mann seit mindestens zwei Monaten, höchstens aber seit einem Jahr tot, wobei ein Jahr wahrscheinlich etwas zu hoch gegriffen ist.« Gegenüber einem anderen Journalisten hatte ich
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