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Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Titel: Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bass Jon Jefferson
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ein Potenzial an Fachkenntnissen verloren, dessen Aufbau zehn Jahre in Anspruch genommen hatte.
    Als ich am 1. Juni 1971 nach Knoxville kam, wirkte die neue Tätigkeit auf mich durchaus nicht wie ein Traumjob. Die wenigen Anthropologen waren dort bisher im kleinen archäologischen Museum der Universität untergebracht. Wenn wir das Institut ausbauen und einen Promotionsstudiengang einrichten wollten, brauchten wir mehr Platz, und zwar viel mehr. Dazu bot sich nur eine einzige Möglichkeit: gespenstische Räumlichkeiten unter den Tribünen des Neyland Stadium, jenes riesigen Tempels, den die University of Tennessee dem College-Football der Southeastern Conference geweiht hatte. Es ist das drittgrößte Stadion der Vereinigten Staaten.
    In dem düsteren Gebäude, das man 1940 angebaut hatte, waren ursprünglich die Footballspieler der Hochschule und andere Sportler untergebracht gewesen. Als es für diesen Zweck zu alt und heruntergekommen war, hatte die Universität neue Sportlerunterkünfte gebaut und Studenten, die keinen Sport betrieben, in den Räumen unter den Tribünen einquartiert. Und jetzt, da sie auch für unsportliche Studenten zu alt und heruntergekommen waren, überließ die Hochschule sie großzügig dem Lehrkörper. Den Dozenten meines Fachgebietes.
    Aber entscheidend ist nicht, in was für Räumlichkeiten man zum Arbeiten untergebracht wird, sondern welche Arbeit man darin leistet. Das Manhattan Project zur Entwicklung der Atombombe im Zweiten Weltkrieg begann ebenfalls unter einem Footballstadion. Unter den Tribünen des Stagg Field der University of Chicago baute ein Physikerteam unter Leitung von Enrico Fermi einen einfachen Kernspaltungsreaktor, brachte die kritische Masse an Uran hinein und setzte eine Kettenreaktion in Gang, durch die sich die Welt ein für allemal veränderte.
    Wir fingen in Knoxville mit acht Büroräumen an. Sie waren völlig leer, mit Ausnahme eines einzigen Telefons, das in einem der Räume auf dem Fußboden stand. Keine Schreibtische, keine Stühle, keine Bücherregale, keine Aktenschränke. Sobald ich angekommen war, gingen wir hektisch daran, Möbel, Ausrüstung und Material zu organisieren, zu erbetteln und zu leihen. Damit hörten wir nie mehr auf. Unser Wachstum überstieg immer unseren Etat; seit damals ist das anthropologische Institut von den ersten acht Räumen auf etwa 150 angewachsen. Sie sind heute sogar noch älter und baufälliger als im Juni 1971, aber unter den Tribünen wirkt nach wie vor eine kritische Masse an anthropologischer Fachkenntnis. Die Kettenreaktion läuft weiter.
     
     
    Nicht lange nachdem Lisa Silvers verschwunden war, brachte man ihren Onkel Gerald wieder nach Tracy in Kalifornien. Dort wurde er wegen der Delikte von Raub und Fahrerflucht, die er mehrere Jahre zuvor begangen hatte, zu einem Aufenthalt von »unbestimmter« Länge am Deuel Vocational Institute verurteilt.
    Die Polizei in Kansas hatte von Anfang an Zweifel an Geralds Geschichte. Lisa war nie zuvor allein weggelaufen, und dass sie es im Dunkeln getan haben sollte, während ihre Eltern nicht zu Hause waren, erschien unwahrscheinlich. Außerdem wusste man, dass die meisten Kindesentführungen von Verwandten oder Bekannten des Opfers begangen werden. Je länger die Ermittlungen andauerten, desto stärker waren die Beamten von Geralds Schuld überzeugt. Als dann noch zwei Mithäftlinge den Polizisten erzählten, dass er die Vergewaltigung und den Mord an dem Kleinkind zugegeben hatte, wussten sie ganz genau, dass sie Recht hatten.
    Der Prozessbeginn war für den 16. Juni in Olathe in Kansas angesetzt. Mark Bennett, der Staatsanwalt, hatte meine Zeugenaussage für Freitag, den 18. Juni vorgesehen. »Wenn Sie mit dem Flugzeug kommen, werde ich dafür sorgen, dass Sie abgeholt werden; Sie müssen mir nur Flugnummer und Ankunftszeit mitteilen«, schrieb er mir. Ich schrieb zurück, ich müsse mit dem Auto fahren und noch ein paar Kisten mit Habseligkeiten abholen, die beim Umzug nach Knoxville nicht mehr in den Lastwagen gepasst hatten.
    Ich hatte kaum Zeit, meinen Koffer auszupacken und mich in meinem neuen Quartier in Tennessee einzurichten, da musste ich mich schon wieder ins Auto setzen und die lange Strecke nach Kansas fahren. Während ich mit meinem neuen leuchtend blauen Mustang Kombi - mit dem Auto hatte ich mich selbst für die neue Stelle und den großen beruflichen Aufstieg belohnt - auf der Interstate 40 nach Westen unterwegs war, hatte ich viel Zeit, über den traurigen

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