Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
ansehen« - so lautete die Nachricht, die sich an jenem Tag wie ein Lauffeuer durch die Konferenzräume des Hyatt-Hotels verbreitete.
Im Herbst des gleichen Jahres veröffentlichte Bill seine Ergebnisse im Journal of Forensic Sciences . Sein Aufsatz mit dem Titel »Insect Activity and Its Relationship to Decay Rates of Human Cadavers in Eastern Tennessee« (»Aktivität von Insekten und ihre Beziehung zur Verwesungsgeschwindigkeit menschlicher Leichen im Osten von Tennessee«) wurde zu einem der meistzitierten und am häufigsten nachgedruckten Artikel in der Geschichte dieser Fachzeitschrift. In einer 1998 erschienenen Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der American Academy of Forensic Sciences wurde Bills Vortrag sogar als Sternstunde in der Geschichte der Organisation bezeichnet - die Broschüre nannte ihn »den ersten Käfervortrag«.
Als aufstrebender Star der forensischen Anthropologie bekleidete Bill nach seiner Promotion einige interessante Stellen; unter anderem arbeitete er an einem Labor für forensische Beratung und beim medizinischen Sachverständigen in Syracuse im Bundesstaat New York. Am ungewöhnlichsten ist jedoch seine jetzige Tätigkeit: Als forensischer Anthropologe beim medizinischen Dienst der Streitkräfte ist er für die Identifizierung und gegebenenfalls auch die Obduktion verschiedenster Leichen zuständig: Soldaten, Diplomaten, Spione, Space-Shuttle-Astronauten und alle anderen, die von Bundesbehörden oder von offiziellen Stellen nahe gelegener Bundesstaaten oder Gemeinden zur Untersuchung eingeschickt werden.
Im April 1986 arbeitete Bill noch bei dem forensischen Labor in Louisiana. Damals bat ihn die Polizei von Falls Church in Virginia um die Untersuchung von Beweisstücken, die man eineinhalb Jahre zuvor an einem Tatort geborgen hatte.
Im August 1984 war die 18-jährige Lisa Rinker am Sonntagabend gegen halb elf aus dem Haus gegangen. Ihrer Mutter hatte sie gesagt, sie wolle nur einen kleinen Spaziergang um den Block machen. Aber sie kam nicht zurück, und am nächsten Morgen meldete die Mutter sie bei der Polizei als vermisst. Polizei, Angehörige und Freunde durchkämmten die Stadt und die gesamte Umgebung, aber von Lisa fanden sie keine Spur.
Am folgenden Samstag gegen Abend brachte ein Bekannter der jungen Frau - es war der beste Freund ihres Freundes - dem Vater ein Paar bekannt aussehende rosa Sandalen. Nach eigenen Angaben hatte er sie an einer Straßenkreuzung außerhalb der Stadt gefunden, als er gerade Plakate mit der Vermisstenanzeige aufhängen wollte. Ihre Schwester Nancy bestätigte, dass es sich um Lisas Latschen handelte.
Daraufhin rief Mr. Rinker eine Gruppe von Freunden und Verwandten zusammen, und am nächsten Tag machten sie sich im Wald bei der Straßenkreuzung auf die Suche. Sie gingen mit einer bösen Vorahnung an die Arbeit, denn in der Luft hing der Geruch des Todes, und das sehr deutlich. Etwa 60 Meter von der Leitplanke der Landstraße entfernt, im dichten Unterholz, fanden sie Lisas Leiche. Sie hatte dunkelblaue Cordjeans mit weiß abgesetzten Taschen an - die Hose, die sie in der Nacht ihres Verschwindens getragen hatte - und darüber ein zerrissenes trägerloses Top. Der Rumpf war von Maden bedeckt; sie hatten das Gesicht bereits ebenso weggefressen wie die inneren Organe. An Händen und Füßen löste sich die Haut. Die Füße waren nackt, aber an den Sohlen waren trotz des unebenen Geländes und des dichten Unterholzes keine Blutergüsse oder Kratzer zu erkennen; vermutlich hatte sie also zur Zeit ihres Todes und möglicherweise auch noch einige Zeit danach eine Fußbekleidung getragen.
Zwei Tage später nahm der örtliche medizinische Sachverständige eine Obduktion vor. Da die Leiche bereits stark verwest und teilweise skelettiert war, konnte er keine Aussage darüber machen, woran sie gestorben war. Er bezeichnete die Todesursache in den Papieren als ungeklärt, und Lisas trauernde Eltern bestatteten sie.
Aber die Polizeiermittler waren noch nicht bereit, den Fall auf sich beruhen zu lassen. An dem Abend, als Lisa verschwunden war, hatte sie mit ihrem Freund Bernie Wood einen heftigen Streit gehabt. Nach Polizeiangaben hatte Lisa ihn betrogen - und zwar mit Dale Robinson, dem Ehemann ihrer Schwester -, und Zeugen hatten ausgesagt, der junge Mann habe sie bedroht. Das Auto seines Freundes Danny Heath - das war der Bursche, der Lisas Sandalen neben der Landstraße gefunden hatte - war in der fraglichen Nacht geparkt nicht weit von der
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