Der Knochenmann
Busfahrt nach Maribor. Weil am Samstag ist mir im Puff zuviel Betrieb, hat sich der Brenner gedacht. Da gehe ich lieber am Sonntag abend, da ist nicht soviel Kundschaft, und da komme ich einfacher mit den Mädchen ins Gespräch.
Vor über zwanzig Jahren, wie der Brenner noch in die Polizeischule gegangen ist, war er ein paarmal im Bordell, weil in der Gruppe, da gehst du als junger Mensch leicht einmal in ein Bordell. Aber man soll sich nicht immer auf die Gruppe hinausreden, weil der Brenner ist in dieser Hinsicht sowieso nie der große Verächter gewesen, da will ich gar nichts beschönigen. Aber seit der Polizeischule hat er nichts mehr mit Prostituierten zu tun gehabt, also höchstens einmal dienstlich, aber privat nicht.
Jetzt nach so langer Zeit ist er doch wieder ein bißchen nervös gewesen, Schwellenangst. Aber im nächsten Moment hat er sich schon wieder wie daheim gefühlt, weil er hat gleich beim Eingang einen alten Bekannten getroffen. Der Jacky ist also gar nicht arbeitslos gewesen, der hat nur den ganzen Tag Zeit gehabt, beim Löschenkohl herumzuhängen, weil er in der Nacht als Türsteher gearbeitet hat.
«Aha, das ist also dein Geschäft, Jacky.»
«Nein, das ist mein Idealismus», murrt der Jacky. Er ist noch ein bißchen empfindlich gewesen, weil er erst seit kurzem wieder im
Borderline
als Türsteher arbeiten hat müssen.
Erst vor einem Monat hat ihn die Grazer Chefärztin hinausgeworfen, weil er ihr gleich zwei Krankenschwestern auf einmal geschwängert hat. Angeblich ist sie sogar deshalb nicht zur Primarärztin befördert worden, weil da sind die Leute bei uns immer noch ein bißchen komisch, wenn sich eine Fünfzigjährige einen dreißigjährigen Liebhaber hält. Ich weiß nicht, was an dem Gerücht dran ist, aber ein bißchen einen wahren Kern dürfte es schon haben.
Der Jacky hat dem Brenner die Tür aufgehalten, dann noch der schwere rote Samtvorhang, dann eine schwarze Tür mit einem runden Glasfenster, und dann natürlich große Überraschung.
Und da sieht man, wie die Zeit vergeht. Da sagen die Leute immer, an den Kindern sieht man es, wie die Zeit vergeht. Hat es der Brenner jetzt am Puff gesehen. Weil das hat mit den Puffs vor zwanzig Jahren, wie er in die Polizeischule gegangen ist, rein gar nichts mehr zu tun gehabt.
Eine Musik, ein künstlicher Nebel, ein Scheinwerferlicht, ich kann es nicht beschreiben. Stell dir New York vor, oder stell dir Paris vor, oder stell dir von mir aus Moskau vor, aber stell dir nicht die Oststeiermark vor. Dem Brenner ist vorgekommen, daß ihm am ganzen Körper Ohren wachsen, also jede Pore ein Ohr, das mußt du dir einmal vorstellen, und da ist ihm überall die Musik hineingefahren.
«Wieso schaust du so traurig? Bist du gerade bei der Matura durchgefallen?»
Die Rothaarige ist auf einmal neben dem Brenner gestanden, ohne daß er sie kommen gesehen hat. Er ist immer noch ganz weggetreten gewesen, und er hat sich jetzt erinnert, wie sie bei der Kripo einmal eine ganze Nacht im Bereitschaftsraum gesessen sind, und nicht ein einziger Einsatz ist hereingekommen. Sie haben bis vier Uhr früh Mau-Mau gespielt, um einen Schilling pro Punkt, und auf einmal ist der Oberascher zum Giftschrank hinausgegangen und mit dem Kokain, das sie am Vortag beschlagnahmt haben, wieder hereingekommen.
Und das ist ja das Gefährliche an diesem Teufelszeug, daß du oft Jahre danach noch so einen Rückfall haben kannst, auf einmal reißt es dich wieder hinein in den Rausch, mitten am hellichten Tag, obwohl du seit Jahren nichts mehr genommen hast. Und da haben sie sogar ein eigenes Wort dafür:
backlash,
also englisch, weil das muß so furchtbar sein, daß man es sich auf deutsch gar nicht sagen traut.
Aber daß es so was gibt! Beim Brenner ist das – warte: dreizehn, vierzehn, ja schon fünfzehn Jahre her gewesen, und jetzt so ein
backlash,
daß es ihm fast die Zehennägel umgedreht hat. Und deshalb hat er in dem Moment zu sich selber gesagt: «Ich glaub, der Löschenkohl hat mir heute mein Hendl mit Koks paniert.»
Aber die Nutte muß es trotz der ohrenbetäubenden Musik verstanden haben, oder hat sie Lippen lesen können, ich weiß es nicht. Jedenfalls beugt sie sich vor Lachen fast bis zu ihren Knien hinunter, und wie sie wieder heraufkommt, kichert sie: «Das Hendl mit Koks paniert! Das ist ein guter Schmäh! Wie heißt du?»
Sie hat sich immer noch geschüttelt vor Lachen, aber so benebelt ist der Brenner auch noch nicht gewesen, daß er nicht merkt, daß die
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