Der Knochenmönch
Mit offenem Mund starrte der Junge hinter dem Wagen her und schüttelte den Kopf.
Vor der Polizeistation stoppte Sinclair sein Fahrzeug. Zum erstenmal nach dem Angriff ging es ihm besser, und er atmete tief durch, auch wenn das Zittern noch blieb.
Auf der Stirn des Mannes klebte der Schweiß wie kaltes Öl. Noch vibrierten seine Nerven, und auch die alten Beine zitterten. Aber er hatte es überstanden, er lebte noch, das Monster mit dem Messer hatte sein Leben nicht auslöschen können.
Dafür war er dankbar.
Aus dem Fenster der kleinen Polizeistation schaute ein Gesicht. Zuerst war es noch hinter der Scheibe zu sehen, dann zerrte der Konstabler das Fenster auf, und schaute zu, wie Horace F. Sinclair aus dem Corsa kletterte.
»Ist das nicht der Wagen des Pfarrers?« rief der Konstabler.
»Stimmt.«
»Und warum fahren Sie ihn?« Der Polizist schüttelte den Kopf.
»Verdammt, der hat vorn ja keine Scheibe mehr.«
»Richtig.«
»Was ist eigentlich los?«
Sinclair ging bereits auf die Tür zu und winkte mit der rechten Hand ab.
»Das werde ich Ihnen alles drinnen erzählen, vorausgesetzt, Sie lassen mich hinein und haben auch einen Schluck Whisky für mich, denn den habe ich jetzt nötig.«
»Darauf können Sie sich verlassen, Mister.«
Ich hatte telefoniert, und man war bei der Bistumsverwaltung natürlich mehr als erstaunt über meinen Wunsch, den ich mit wohlgesetzten Worten vorgetragen hatte.
Jedenfalls hatte man sich kooperativ gezeigt und mich an eine Zentrale verwiesen, wo alle Personalien in einen großen Computer eingespeichert waren, denn die Kirche mußte einfach wie ein Industrieunternehmen geführt werden bei einer derartigen Größe.
»Wenn Ihnen dort niemand helfen kann, dann kann es wohl keiner«, hatte man mir gesagt.
Also versuchte ich es bei dieser Institution, und Suko, der mir gegenübersaß, schaute nur zu. Für ihn gab es momentan nichts zu tun, was sich aber ändern würde, wie wir beide annahmen.
Es meldete sich kein Mann, sondern eine Frau mit einer energisch klingenden Stimme, und ich stellte mir schon so etwas wie einen Feldwebel in Nonnentracht vor. Trotz meiner Freundlichkeit und den netten Worten blieb die Dame kühl bis in die kleinste Zehenspitze, als ich meinen Wunsch äußerte.
»Wir werden Ihnen da wohl kaum helfen können, Mr. Sinclair.«
»Warum nicht?«
»Haben Sie schon irgendwann etwas von Datenschutz gehört?«
»Das habe ich, Lady, aber man hat mich an Sie verwiesen, wie ich Ihnen eingangs schon sagte.«
Ich hatte die Dame ein wenig verunsichert. Jedenfalls ließ sie sich mit ihrer Antwort Zeit. »Woher soll ich wissen, daß Sie nicht lügen? Hier rufen nicht wenige Menschen an, die erfahren wollen, wo sich jetzt bestimmte Brüder und Schwestern aufhalten, bei denen die Verwandtschaft nicht damit einverstanden war, daß sie einen anderen Weg gingen. Da wird man schon oft zum Narren gehalten, Mr. Sinclair.«
»Es geht um einen Pfarrer namens Driscoll.«
»Der ist bekannt.«
Ich war überrascht. Diese Schwester Gertrudis schien ein phänomenales Gedächtnis zu haben, denn sie brauchte nicht erst irgendwo nachzuschauen, um mir eine Antwort zu gehen. Die Überraschung war ihr nicht verborgen geblieben, zumindest wunderte sie sich über meine Sprachlosigkeit, und sie sagte: »Bruder Driscoll ist bekannt in unseren Reihen.«
»Inwiefern?«
»Er ist ein außergewöhnlicher Mann, der seine eigenen Wege geht.«
»Wie darf ich das verstehen?«
Sie räusperte sich. »Nun, er gehört keiner Gemeinde im eigentlichen Sinn an. Er arbeitet gewissermaßen frei für uns.«
»Auch keinem Orden?«
»Doch, Mr. Sinclair. Er ist von den Jesuiten ausgebildet worden und diesem Orden selbstverständlich nach wie vor stark verbunden. Aber er wurde für gewisse Sonderaufgaben abgestellt.«
»Können Sie mir sagen, welche Aufgaben Father Driscoll da übernommen hat?«
Schwester Gertrudis seufzte, als hätte sie Liebeskummer. »Auch wenn ich es könnte, ich dürfte es nicht.«
Ich ließ nicht locker. »Eine geheime Mission?«
»So spektakulär kann man es wohl nicht nennen, aber im Prinzip haben Sie schon recht.«
»Okay, ich verstehe, daß Sie darüber schweigen müssen. Aber tun Sie mir bitte einen Gefallen. Sagen Sie mir, wo ich diesen Mann treffen kann. Ist das zuviel verlangt?«
»Nein, das nicht. Kennen Sie das Eisstadion an der Clerkenwell Road?«
»Nur dem Namen nach. Ich selbst war noch nicht dort.«
»Da genau dreht Bruder Driscoll am Abend seine Runden. Er
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