Der Koch
versteinerter Miene auf seine erst halb aufgegessene Vorspeise und legte Messer und Gabel parallel auf den Teller.
Dalmann hatte seinen leer und legte das Besteck ebenfalls ab. »Reden wir also von den konservativen, ubs, zum Beispiel.«
»Das waren Blue Chips. Kein Mensch...«
Dalmann unterbrach ihn: »Gehen sie runter? Gehen sie rauf?«
»Langfristig rauf.«
»Langfristig bin ich tot.«
In diesem Moment kam Huwyler an den Tisch. Bevor er den Mund aufmachen konnte, sagte Dalmann: »Sieht nicht nach Krise aus, hier drin.«
»Essen müssen die Leute immer«, erwiderte Huwyler. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend.
»Und Qualität kennt keine Krise«, ergänzte Dalmann.
»Das sag ich auch immer«, sagte Huwyler grinsend.
»Ich weiß. Was kommt als nächster Gang?«
»Eine Überraschung, darum heißt das Menu >Surprise<.«
»Kommen Sie, sagen Sie schon. Ich hatte heute schon genug Überraschungen.«
Lluwyler zögerte. »Bretonischer Hummer«, sagte er dann.
»Wie gemacht?«
»Das ist die Überraschung.«
»Sie wissen es nicht, hab ich recht?«
»Natürlich weiß ich es.«
»Deshalb haben Sie die Cloches abgeschafft, damit Sie sehen, was serviert wird.«
Huwyler ergriff die Chance zum Themawechsel. »Vermissen Sie die Cloches?«
»Ich fand, es hat das Essen aufgewertet.« »Und ich fand, das haben wir nicht nötig.« Huwyler wurde vom Kellner erlöst, der die Teller abräumte.
Auch wenn es Dalmann noch nicht ans Lebendige ging, so hatte er doch ernsthafte Probleme.
Viele seiner russischen Geschäftsfreunde, denen er hier Kontakte vermittelt und ein angenehmes Geschäftsklima geschaffen hatte, spürten die Krise und blieben aus.
Dann war da diese Sache mit Liechtenstein. Deutsche Steuerfahnder hatten einem Informanten die Bankdaten von Hunderten deutscher Staatsbürger abgekauft, die Konten bei der Landesbank besaßen. Das hatte nicht nur negative Auswirkungen auf Dalmanns Kontaktvermittlungen nach Liechtenstein, es erhöhte auch den Druck auf das hiesige Bankgeheimnis und erschwerte so seine Vermittlungs- und Beratungstätigkeit.
Und das Thema Aktenvernichtung in der Atomschmuggelaffäre flackerte auch immer wieder auf. Jedes Mal mit dem Risiko, dass der Name Palucron und Dalmanns ehemalige Funktion als Verwaltungsrat dort in die Medien geriet.
Das alles wäre erträglicher gewesen, wenn nicht auch noch das Gesundheitliche hinzugekommen wäre. Er hatte sich zwar seit dem Herzinfarkt gut erholt, aber er war nicht mehr der Alte. Der Zwischenfall hatte ihn an seine Sterblichkeit erinnert und ihm ein wenig von seiner Lebensfreude genommen. Er tat zwar nach wie vor all die Dinge, die ihm sein Freund und Hausarzt Anton Hottinger schon immer verboten hatte, aber er tat sie nun mit schlechtem Gewissen.
Etwas, worunter er noch nie zuvor gelitten hatte, schon gar nicht in Bezug auf seinen Lebenswandel. Er hatte einmal gehört, dass die Laster, denen man mit schlechtem Gewissen fröne, viel ungesünder seien als die anderen.
Deshalb hatte er vor kurzem begonnen, anstatt an seinen Lastern systematisch an seinem Gewissen zu arbeiten. Bis jetzt hatte es noch keine spürbare Besserung gebracht.
22
Bis vor kurzem hatte Andrea Dagmars Schlafzimmer nicht in Beschlag genommen. Sie wollte sich die Möglichkeit einer Wohngemeinschaft offenhalten. Aber
Love Food
lief inzwischen so erfreulich, dass sie es sich leisten konnte, allein hier zu wohnen. Daher benutzte sie den Raum jetzt als Büro.
Es war ihr nicht ganz leichtgefallen, Dagmars letzte Spuren zu beseitigen: Die Reste der Klebestreifen für die Standbilder ihrer Lieblingsfilme, mit denen sie die Wand tapeziert hatte. Dagmar war ein Kinofreak. Sie liebte schwierige Studiofilme in unverständlichen Sprachen, besaß eine Sammlung schwedischer Stummfilme und war eine Kennerin des nachrevolutionären russischen Filmschaffens. Diese Vorliebe war die Ursache vieler Beziehungskrisen. Nicht nur, weil Andrea einen ganz anderen Filmgeschmack hatte, sondern vor allem deshalb, weil ihre Berufe ihnen wenig gemeinsame Freizeit erlaubten. Dagmar arbeitete als Dentalhygienikerin, und Andrea hatte keine Lust, die wenigen freien Abende jedes Mal mit ihrer Freundin bei einem Problemfilm zuzubringen.
Dagmars Leidenschaft war aber auch ein Teil der Faszination, die sie auf Andrea ausübte. Sie kleidete, schminkte und frisierte sich wie ein Stummfilmstar, rauchte, bevor sie gemeinsam das Rauchen aufgaben, mit einer langen Zigarettenspitze und richtete ihr Schlafzimmer
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