Der Koch
ein wie eine Stargarderobe aus den zwanziger Jahren. Dass Andrea gerne das Glamouröse ihrer eigenen Erscheinung etwas betonte, war ein Überbleibsel aus ihrer Beziehung mit Dagmar.
Jetzt war der Raum frisch gestrichen und mit einem Bürokorpus, einem Schreibtisch mit Telefon und Desktop und einem verstellbaren Drehstuhl möbliert. Alles außer Telefon und Desktop stammte aus einem Secondhandladen in der Nähe von Maravans Wohnung.
Das Einzige, was jetzt noch an Dagmar erinnerte, war ein vergessenes Prisma aus Bergkristall, das an einer langen Schnur vor einem der beiden Fenster hing und manchmal die Strahlen der Morgensonne in ihre Spektralfarben brach und sie als farbige Lichtflecken ins Zimmer streute.
Andrea hätte kein Büro gebraucht, ein paar Telefonnummern, zwei Dossiers und ein Terminkalender hätten genügt für die Administration von
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Aber es machte das Ganze professioneller. Mit einem Büro wurde
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zur Firma und ihre Arbeit zum Beruf.
Sie behielt das Zimmer auch deshalb nicht in Reserve, weil die wenigen Besucherinnen, die über Nacht blieben, bei ihr im Bett schliefen. Sie lebte als Single und hatte nicht vor, so bald wieder eine feste Beziehung einzugehen. Dafür, sich einsam zu fühlen, ließ ihr
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keine Zeit.
In diesem Büro saß sie und betrachtete die farbigen Lichtflecken, die über die Wände huschten, als Herr Mellinger, ihr allererster Gast, anrief. Sie war ein wenig überrascht. Es kam zwar öfter vor, dass Paare
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ein zweites Mal buchten. Aber bisher war alles über die Praxis von Esther Dubois, der Therapeutin, gelaufen. Dass jemand sie direkt kontaktierte, war neu.
Es dauerte nicht lange, bis Andrea den Grund erfuhr.
Herr Mellinger räusperte sich ein wenig verlegen und kam dann zur Sache: »Machen Sie auch, ahm, diskrete Essen?«
»Wenn wir nicht diskret wären, könnten wir den Laden zumachen.«
»Klar, ich meine, ahm, auch diskret Frau Doktor Dubois gegenüber?«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Ich meine: Machen Sie auch solche Essen, ohne dass sie es erfährt?«
Andrea überlegte einen Moment. Dann beschloss sie, die Geschäftsbeziehung zu Esther - sie war mit zehn Prozent beteiligt - nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. »Ich glaube, das wäre nicht fair. Und es könnte den Therapieerfolg gefährden.«
»Nicht im Rahmen der Therapie.« Mellinger klang jetzt etwas ungeduldig.
Und als Andrea immer noch nicht verstehen wollte, präzisierte er: »Nicht mit meiner Frau. Verstehen Sie?«
Andrea verstand. Dennoch, wenn Esther es erfuhr...
»Ich bezahle das Doppelte.«
Aber von wem sollte es Esther erfahren? Von Mellinger bestimmt nicht.
Sie sagte also zu und vereinbarte einen Termin.
Der Wohnraum der Dreizimmermaisonette lag im oberen Stock, zu dem eine enge Wendeltreppe führte. Er war vollgestopft mit rosarotem Kitsch: Kissen, Püppchen, Plüschtierchen, Porzellan-Nippes, Bildchen, Deckelchen, Wandbehängen, Federboas, Tutus, Glitter, Flimmer, Modeschmuck.
»Ich sammle Rosa«, hatte Alina erklärt, als sie Andrea in den Raum geführt hatte. Sie war eine kleine Blondine, ganz süß, wenn man den Typ mochte. Und Mellinger mochte ihn ganz offensichtlich. Die Wohnung war bestimmt nicht billig gewesen. Sie lag in einer guten Gegend, war neu und ihr Innenausbau teuer.
»Wollen wir uns nicht duzen? Du bist bestimmt nicht viel älter als ich«, schlug Alina vor.
Andrea willigte ein. Nach ihrer Schätzung war sie eher etwas jünger.
»Ich lass euch mal schalten und walten«, hatte Alina gesagt und sich für den Nachmittag verabschiedet. »Ich steh euch sowieso nur im Weg rum.«
Andrea und Maravan schleppten die runde Tischplatte, die Kissen und die Tücher die Wendeltreppe hinauf. Die Sachen stammten nicht mehr aus Maravans privatem Inventar,
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hatte sie angeschafft.
»Nicht ganz passend, fürchte ich«, sagte Andrea zu Maravan und zeigte auf die rosarote Bescherung.
»Im Gegenteil: Rosa ist bei uns Hindus die Farbe des Herz-Chakras. Grün und Rosa. Das Zentrum der Liebe, Anatha.«
Andrea machte sich an die Vorbereitung des Raumes, Maravan zog sich in die Küche zurück.
Später, als Andrea ihm zusah, wie er die knusprige mit der elastischen Folie aus Urd umwand - auch das etwas, bei dem er jedes Mal mehr Kunstfertigkeit entwickelte -, sagte er kopfschüttelnd, mehr zu sich als zu ihr: »Seltsam: so jung und schon diese Probleme.«
Andrea hatte ihn nicht über die besonderen Umstände dieses Auftrags und seiner Honorierung
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