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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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ein paar der treuesten Firmen abgesagt, die sonst immer ihre Management-Weihnachtsessen dort abhielten. Huwyler war davon überzeugt, dass sie die Krise entweder als Vorwand nahmen oder sich aus ästhetischen Gründen zu dieser Maßnahme entschlossen: Es sah einfach nicht so gut aus, wenn man auf Krise machte und trotzdem im Huwyler tafelte.
    Wie dem auch sei, für Huwyler kam es auf dasselbe heraus. Das Restaurant war merklich lockerer besetzt als sonst um diese Jahreszeit.
    Deswegen kümmerte er sich besonders um Staffels Tisch. Er war mit zwölf Personen besetzt, seinem Topmanagement mit - eine besondere Rarität dieser Tage - Gattinnen.
    Staffel hatte auch allen Grund zu feiern. Er war von der Finanzpresse in der Sparte »neue Technologien« einstimmig zum Manager des Jahres gewählt worden. Und die Firma, die er leitete, die Kugag, hatte so gut abgeschlossen, dass sie sich diese kleine Extravaganz auch imagemäßig leisten konnte.
    Einzig bei der Auswahl des Menüs hätte er ein bisschen großzügiger sein können. Huwyler hatte das Degustationsmenü vorgeschlagen, aber Staffel hatte sich für einen simplen Sechsgänger entschieden. Auch bei den Weinen war er im Mittelfeld geblieben. In diesen Zeiten wurden eben die Spießer Manager des Jahres.
    Dafür war ein anderer Gast alles andere als spießig: Dalmann, der Herzinfarkt. Beim ersten Mal, als er sich wieder im Restaurant zeigte, frisch aus der Rehabilitation, keinen Monat nach dem Zwischenfall, war Huwyler erschrocken. Weniger über die Unverfrorenheit, nach diesem peinlichen Vorfall überhaupt wieder hier aufzutauchen, als über die Möglichkeit, dass sich dieser wiederholen könnte. Dalmann hielt sich nämlich weder beim Essen noch beim Trinken zurück und bestellte sogar eine Zigarre zum Cognac.
    Inzwischen war Dalmann aber wieder ein gerngesehener Gast geworden. Eine Art Symbol der Normalität.
    Auch an diesem Abend war er hier. Und zwar in Begleitung von Dr. Neiler, Wirtschaftsanwalt und, wie die beiden zu vorgerückter Stunde immer häufiger betonten, Jugend- und Pfadfinderfreund. Sie aßen das Surprise.
     
    Dalmann zog ein Tannenzweiglein aus dem Gesteck mit der dunkelblauen Christbaumkugel und hielt es über die Kerze. Er liebte den Duft von angesengten Tannennadeln. Überhaupt Weihnachten. Es machte ihn auf angenehme Weise sentimental. Besonders an einem Abend wie heute, nach einem guten Essen mit einem alten Freund. Das Restaurant nicht zu voll, nicht zu leer, nicht zu laut, nicht zu still. Der Rauch der Bahia kühl, der Armagnac weich und das Gespräch vertraut.
    »Hast du mal wieder Kulis Dienste in Anspruch genommen?«, erkundigte sich Neiler gerade.
    Dalmann lächelte. »Ich muss auf mein Herz aufpassen, das weißt du doch.«
    »Klar. Das vergesse ich immer, wenn ich dich so sehe.«
    »Warum? Sollte ich?«
    »Ich will dich nicht in Gefahr bringen. Aber falls du es tust: Er bietet jetzt so etwas mit Essen an.«
    »Essen tu ich lieber hier.«
    »Ein sehr spezielles Essen. Erotisch.«
    Dalmann sah ihn fragend an und zog an seiner Zigarre.
    »Er hat einen Inder oder so, der kocht, und eine scharfe Mieze, die serviert. Kennst du übrigens, hat mal kurz hier bedient, schwarz, groß, alle Haare auf eine Seite.«
    »Die arbeitet jetzt für Kuli?«
    »Nur im Service.«
    »Und sorgt für das Erotische?«
    »Nein, das tut das Essen. Habe es erst auch nicht geglaubt. Aber es stimmt. Das Essen macht dich ganz anders.« »Wie anders?«
    »Nicht einfach scharf da«, Neiler deutete vage nach unten. »Auch. Aber mehr da.« Er tippte an seine hohe, schweißglänzende Stirn.
    »Du meinst, du bekommst eine Erektion im Kopf?« Dalmann lachte, aber Neiler schien ernsthaft darüber nachzudenken.
    »Ja, so kann man es sagen. Und das Beste: Die Frauen törnt es offenbar auch an. Man hat den Eindruck, es macht ihnen tatsächlich Spaß.«
    »Die tun immer so, dafür werden die bezahlt.«
    Neiler schüttelte den Kopf. »Glaub einem alten Hasen. Ich merke den Unterschied. Das ist echt. Vielleicht nicht ganz, aber ein wenig schon.«
    Dalmann kaute seinen Bissen nachdenklich. Dann wischte er sich den Mund und fragte: »Glaubst du, die tun was rein?«
    »Sie sagen, nein. Es seien die Rezepte. Und die Ambiance. So Kissen und Kerzen. Man sitzt am Boden und isst mit der Hand.«
    »Und was isst man?«
    »Scharfe Sachen eben. Scharf und süß. So eine Art ayurvedische Molekularküche. Seltsam. Aber hervorragend. Absoluter Geheimtipp. Nicht ganz billig, aber echt mal was

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